Die Ohrwürmer von Silvia und Susanna
Wieder hat die Berliner Operngruppe zwei Stücke ausgegraben, die aus dem Kanon gefallen sind. Abermals wurden vom Dirigenten Felix Krieger beste Kräfte gebündelt, um die verlorenen Schätze über die Rampe zu bringen. Denn was nicht gespielt wird, bleibt unbekannt. Und, das ist nun mal der Teufelskreis der Performing Arts: Unbekanntes hat es schwer, zumal, wenn es sich um nichtabendfüllende Einakter handelt. Jeder Operngänger liebt „La Traviata“, da weiß Mann, was er hat. Aber wer liebt Silvia?
Es geht los mit einem Prachtstück von Ohrwurm. Pietro Mascagni erfand ihn vor 126 Jahren, um seine sechste Oper „Zanetto”“einzuleiten. Diese einfache, um sich selbst kreiselnde F-Dur-Melodie kann wahlweise vom Orchester gespielt werden, wie eine Ouverture.
Vom spätromantischen Orchester illuminiert
Oder der Chor singt sie, in Vokalisen. Leicht und schwebend, so muss das klingen, dann öffnet das Lied ohne Worte die Tür zur Vergangenheit. In einem Garten der Renaissancezeit lustwandelt nächtens ein leichtes Mädchen. Es ist des Luxuslotterlebens überdrüssig: „Verflucht sei die Liebe!“ Mit diesen Worten beginnt die fieberhafte, von allen Farben des spätromantischen Orchesters illuminierte „Gran scena del delirio“ der Kurtisane Silvia.
Narine Yeghiyan sprang kurzfristig ein, sie hat diese dramatische Partie in nur eineinhalb Tagen gelernt. Aber es dauert kaum drei Sekunden, da steht sie mit ihrem diamantklaren, bombensicheren Sopran und ihrer lebendigen Aura im Fokus. Alsdann betritt die wahre Liebe den Garten, in Gestalt des jungen Troubadours Zanetto – eine Paradehosenrolle für die betörend sinnlich-sonore Mezzosopranistin Yajie Zhang.
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Wie die beiden sich einander annähern und umschwärmen, Höhen und Tiefen auskosten und sich am Ende tragisch trennen müssen, weil Silvia großmütig verzichtet und sich verleugnet, das ist ein Festival der großen Stimmen – und ein tolles Stück! Auch, wenn das Image der Prostitution inzwischen gründlich entromantisiert wurde, so hat doch der Diskurs über die Unmöglichkeit wahrer Liebe, von Mascagni meisterhaft musikalisch vergoldet, nach wie vor Kraft und Gültigkeit.
Die Konzertmeisterin ist fabelhaft
Das gilt entsprechend für das Verhältnis zum Suchtfaktor Nikotin, er ist heutzutage nicht mehr wirklich witzefähig. Trotzdem wird Ermanno Wolf-Ferraris Zweipersonenstück „Il segreto di Susanna“ von 1909 noch ab und zu an den Opernhäusern gespielt. Es erzählt von der Emanzipation einer Ehefrau, die, zigarettensüchtig, das Rauchverbot des Gatten ignoriert.
Die Rollen sind allzu dankbar und virtuos, die tonmalerische Orchesterbehandlung ist fast zu schön, um wahr zu sein. Aus den Trillern der Holzbläser und den Solipassagen der fabelhaften Konzertmeisterin (Yulia Smirnova) steigen zauberisch blaue Rauchkringel auf, wenn Susanna (Lidia Fridman) sich lässig-lyrisch entspannt. Blechbläser und Kontrabässe toben wie verrückt mit den Bariton-Tiraden des eifersüchtigen Gatten (Omar Montanari), dem sein stummer Diener (Guido Lambrecht) hinreißend drastisch assistiert. Standing Ovations.