Die mit dem Hummer tanzt
Es ist März 2020, ein Virus bringt die ganze Welt zum Stillstand und Dua Lipa muss eine Entscheidung treffen. Über ein Jahr lang hat die britische Sängerin an ihrem zweiten Album „Future Nostalgia“ gearbeitet. Die Erwartungen sind hoch, 2019 gewann sie den Grammy als beste neue Künstlerin.
Doch ist der Beginn einer globalen Pandemie der richtige Zeitpunkt, um gut gelaunten Dance-Pop zu veröffentlichen? „Ich weiß nicht mal, ob das die richtige Entscheidung ist“, sagt Dua Lipa unter Tränen in einem Instagram-Video, in dem sie den Release ihres Albums Ende März ankündigt. „Aber das, was wir gerade am meisten brauchen, ist Musik und Freude und dass wir versuchen, Licht in diese Situationen zu bringen.“
Gut zwei Jahre später jubeln tausende Menschen in der der fast ausverkauften Berliner Mercedes-Benz-Arena frenetisch, als Dua Lipa im pinken Ganzkörperanzug die Bühne betritt. Sie hat sich richtig entschieden: „Future Nostalgia“ wurde eines der am meisten gestreamten Alben des Jahres 2020.
Doch da die 26-Jährige während der Pandemie zu einem Weltstar geworden ist, gab es erstmal keine Live-Auftritte. Dreimal musste ihre Welttournee verschoben werden.
Umso größer ist jetzt der Enthusiasmus, als Dua Lipa zu „Physical“ ansetzt, einer Hommage an die Workout-Hymne von Olivia Newton-John und typisch für ihren von den 80er und 90er Jahren inspirierten Sound.
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Vom ersten Moment an ist klar: Hier steht ein echter Popstar auf der Bühne, ein „Female Alpha“, wie sich Dua Lipa im Eröffnungstrack ihres Albums nennt. Selbstbewusst schreitet sie von A nach B, reibt sich an der Mikrofonstange, liefert athletische Verrenkungen mit ihrer Crew unermüdlicher Tänzer:innen.
Ihre Stimme bleibt dabei so tief und kräftig, wie man sie kennt. Viel Zeit zur Erholung gibt es nicht in den 90 Minuten: Wie auch auf dem Album jagt ein Banger den nächsten, das Energielevel bleibt konstant oben. Balladen sind das Ding von Dua Lipa nicht.
Dua Lipa schreibt ihre Songs selbst
Die in vier Teile – und vier Outfits – gegliederte Show besteht fast ausschließlich aus den Songs von „Future Nostalgia“. Eine der wenigen Ausnahmen ist „New Rules“ über Verhaltensregeln nach einer Trennung, mit dem Dua Lipa 2017 der Durchbruch gelang. „If you’re under him / you ain’t getting over him“, schallt es tausendfach durch die Halle.
Ihren ersten Label Showcase habe sie in Berlin gehabt, erzählt die Sängerin zwischendurch. Sie sei so aufgeregt gewesen, dass sie sich im Bad versteckt habe.
Dua Lipa, deren Vorname auf Albanisch „Liebe“ bedeutet, ist in London geboren. Ihre Eltern sind Kosovo-Albaner, die 1992 vor dem Krieg flohen und später mit ihr zurückzogen. Mit 15 kehrte sie allein zurück nach London, um ihre Gesangskarriere in Angriff zu nehmen.
Trotz Retro-Sounds hat sie mit den Mainstream-Popstars der 90er nicht viel gemein: Sie schreibt ihre eigenen Songs, musste nicht erst einen Imagewechsel vom Disney-Kinderstar vollziehen. Vor ihren 82 Millionen Followern auf Instagram scheut sie sich nicht, auch ernste Themen anzusprechen, sie es die Unabhängigkeit des Kosovo oder Sexismus in der Industrie.
Der einzig balladenhaft anmutende Moment des Abends kommt dann auch mit „Boy Will Be Boys“, einer bombastische Pophymne, in dem Dua Lipa toxische Männlichkeit verurteilt.
Sie singt darüber, wie normal es ist, dass Frauen nachts mit ihren Schlüsseln zwischen den Fingern nach Hause gehen – doch bevor zu viel Schwermut aufkommen kann, stürmen die Tänzer:innen wieder auf die Bühne.
Ein enthusiastischer Ringeltanz
Es geht an diesem Abend schließlich nicht um Politik, sondern um Eskapismus. Zwei Tänzer führen Kunststücke auf Rollschuhen vor, für die tropische Midtempto-Nummer „We’re Good“ groovt ein riesiger Hummer auf der Bühne ab – ein Wink an das Video zu dem Song, in dem ein Krustentier nur knapp dem Tod im Kochtopf entgeht.
Die Szene erinnert an Katy Perry, die auf ihren Konzerten ebenfalls gern überdimensionierte Tiere verwendet und eine ähnliche Philosophie vertritt wie Dua Lipa: Guter Pop muss vor allem Spaß machen und sollte sich selbst nicht zu ernst nehmen.
Der Hummer lässt selbst Popkonzert-Klischees wie die obligatorischen Konfettikanonen verzeihen. Die kommen am Ende zum Einsatz, als Dua Lipa ihren Überhit „Don’t Start Now“ spielt. Vorher gibt es noch ihre EDM-Banger zu hören, „One Kiss“ etwa, eine Kollaboration mit dem DJ Calvin Harris.
Luftballons fliegen durch die Luft, Tänzer:innen und Sängerin halten sich an den Händen für einen enthusiastischen Ringeltanz. Für „Levitating“ verwandelt sich die Arena in das Weltall.
Dua Lipa schwebt auf einer Plattform über der Menge, neben ihr baumeln aufblasbare Planeten und Sterne. Für sie sei es „kosmisch“, durch Musik Menschen zusammenzubringen, sagte die Sängerin kürzlich der „Vogue“. Nicht nur sie hat lange auf diesen Moment gewartet.
Auch für viele Besucher:innen dürfte der Abend das erste Konzert seit Beginn der Pandemie gewesen sein sein, der erste Moment des kollektiven Abtanzens. Es waren zwei dunkle Jahre. Dua Lipa hat ein bisschen Licht gebracht.