Comic über den Alltag mit Drogen : Tee trinken, plaudern, Heroin spritzen
Wenn es in Comics um Drogen geht, werden meistens Absturzgeschichten erzählt, die mal mehr, mal weniger ernsthaft daherkommen (wie etwa „Crystal klar“ oder „Hexe total“). Luka Lenzin („RPM“) hat sich für einen erfrischend anderen Ansatz entschieden und vermittelt in dem dokumentarisch-fiktionalen Comic „Nadel und Folie“ (Reprodukt, 168 S., 24 €) einen erstaunlich unaufgeregten Einblick in die Arbeit einer Hamburger Drogenberatungsstelle mit Druckraum, wo Abhängige sicher Substanzen wie Heroin oder Crack konsumieren können.
Lenzin hat selbst neun Jahre als Hilfskraft in einer solchen Einrichtung gearbeitet und dabei viel von der früheren Angst vor Drogensüchtigen verloren. Der Comic schildert die Klient:innen einfühlsam als normale Menschen mit alltäglichen Problemen, mit Jobs, mit Familien, mit Kindern.
Kriminalisierung schafft Kriminalität
„Nadel und Folie“ atmet die Haltung der akzeptierenden Drogenarbeit, die Drogenkonsument:innen Hilfe und Würde gewährt, ohne von ihnen Abstinenz einzufordern. Nebenbei wird auch noch die Entstehung des „War on Drugs“ und das Versagen der deutschen Drogenpolitik analysiert, welche durch die Kriminalisierung von Suchtkranken mehr Kriminalität schafft als zu bekämpfen.
Ergänzt wird dies durch historische Einschübe, auf welch fragwürdige Weise Drogenverbote überhaupt entstanden sind, und was dies über unser Verständnis von Gesundheit und Krankheit aussagt.
Die manchmal unzusammenhängenden Zeichnungen und Panelumbrüche geben ein Gefühl für die turbulente Atmosphäre der Anlaufstelle: Hier trifft sich eine bunte Mischung aus Jungen und Alten, Leisen und Lauten, freundlichen und sozial ungeschliffenen Charakteren, die als anthropomorphe Tierfiguren gezeichnet sind.
Lenzins Strich ist liebevoll punkig: Trotz (oder gerade wegen) ihrer Skizzenhaftigkeit wirken die Zeichnungen überaus lebendig und verleihen den Figuren viel Authentizität.
Mit „Nadel und Folie“ hat Lenzin trotz einiger erzählerischer Schwächen einen längst überfälligen Comic-Beitrag zur Versachlichung der Drogenpolitik geleistet. Anstatt sich voyeuristisch auf Abstürze von Einzelnen zu konzentrieren, hinterfragt Lenzin vielmehr die gesellschaftlichen und politischen Umstände, die erst zu solchen Abstürzen führen.
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