Mit „Ku’damm 56“ eröffnet das Theater des Westens wieder

Schön, dass sie wieder strahlen, die Kronleuchter im Foyer des Theater des Westens. Seit März vergangenen Jahres blieben die Lichter pandemiebedingt aus – in Berlin ebenso wie bundesweit in allen Musicalbühnen von Stage Entertainment, die im Theater des Westens zuletzt das Abba-Jukebox-Musical “Mamma Mia” zeigte.

Still und stumm stand das Haus die langen Monate. Die verschlossenen Eingangsportale nutzten Obdachlose als Nachtquartier.

Die Schöllacks singen jetzt auch

Am Sonntag stehen die Türen zur Uraufführung von “Ku’damm 56” nun wieder weit auf. 2016 als Fernsehdreiteiler im ZDF ausgestrahlt, war die Geschichte von Drehbuchautorin Annette Hesse ein so großer Hit, dass er nicht nur nach Fortsetzungen, sondern auch nach einer Bühnenfassung verlangte.

Also gibt es das Geschick der sittenstrengen Tanzschulbetreiberin Caterina Schöllack und ihrer Töchter Monika, Eva und Helga nun auch mit Musik. Und sie ist – im Gegensatz zur Geschichte – bei “Ku’damm 56 – das Musical” original.

Vom ehemaligen Rosenstolz-Team Peter Plate und Ulf Leo Sommer getextet und komponiert, die auch für Helene Fischer und Sarah Connor Lieder schreiben und Musik für Detlev Bucks “Bibi und Tina”-Filme komponieren.

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Ihre Geschichte auf die Länge eines knapp zweieinhalbstündigen Musicals zu verdichten, hat Annette Hess selbst besorgt. Dass die Verwandlung des “hässlichen Entleins Monika in einen pummeligen Schwan” nicht von ungefähr als feministisch grundierte Emanzipationsgeschichte daher kommt, erklärt Hess beim Pressetermin vor der Show auch mit Erfahrungen wie dem Gender Pay Gap, die ihre Töchter, beide Anfang zwanzig, heute noch machen. “Wir erleben eine krasse Regression”, sagt Hess und mahnt an, dass nach wie vor das Gros der Fernsehfilme und -serien von Männern geschrieben wird.

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Da fühlt es sich gleich doppelt so gut an, mit rund 1600 Menschen zügig im 2G-Plus-Verfahren (samt tagesaktuellem Test) zum Musical einer Autorin ins Theater geschleust zu werden. Zumal auch über diese Premiere die bange Frage hängt, wie lange angesichts steigender Inzidenzen wohl überhaupt gespielt werden kann. Die von BMG, Ufa Fiction und anderen produzierte Show spiele “so lange und so sicher wie möglich”, sagt Peter Plate beim Pressetermin. Eine Maske trotz 2G-Plus auch im Saal zu tragen, wird empfohlen. Nicht wenige halten sich daran.
Wie wild die Leute aufs Mitklatschen und Jubeln sind, zeigt sich gleich beim druckvollen Eröffnungssong “Monika”, zu dem die Ständer der Retromikros des Ensembles vielfarbig leuchten. Plate und Sommer verpassen “Ku’damm 56” keinen Nostalgieschmelz, wie das beispielsweise der Petticoat- und Lederjacken-Klassiker “Grease” macht.

Die Fernsehfilme zu kennen hilft

Klar erklingen zeittypische Stile wie Rock’n’Roll und Rumba, aber viele der Songs könnten genauso gut in den neunziger Jahren entstanden sein. Das reduzierte Bühnenbild zitiert mit seinen beschädigten Fassaden das ruinöse Nachkriegs-Berlin. Die davor gebauten Metallgerüste erinnern allerdings eher an den New Yorker-Feuerleiterlook von “West Side Story”, erweitern die Bühne aber in der Höhe um zwei Spielebenen. Kostüme, Requisiten – alles fällt reduzierter aus als in den Fernsehfilmen.

Die gesehen zu haben, ist angesichts der stark verknappten Handlung hilfreich. Mutter Caterina führt mit strenger Hand die Tanzschule “Galant” am Kurfürstendamm und ist nach Kräften bemüht, ihre Töchter Eva (Isabel Waltsgott) , Helga (Tamara Pascual) und Monika (Sandra Leitner) gut zu verheiraten. Letztere, das schwarze Schaf der Familie, will aber davon ebensowenig wissen wie von einer Hauswirtschaftsschule. Der Musiker und Tänzer Freddy zeigt ihr, was sie wirklich will: tanzen, frei und ledig sein.

Die Schöllacks. Eva (Isabel Waltsgott), Mutter Caterina (Katja Uhlig), Helga ( Tamara Pascual) und Monika (Sandra Leitner)Foto: Jörn Hartmann Dominic Ernst

“Freddy” David Jakobs und Katja Uhlig als Tanzschulchefin sind Zugpferde des Ensembles. Und natürlich stimmt Sympathieträger Freddy auch die für ein Berlin-Musical obligatorische Stadt-Hymne an, die beim vergnügungssüchtigen Publikum auch ohne inhaltliche Anbindung funktioniert: “Berlin, Berlin – du heiße Braut”.

Da lässt sich viel besser mitklatschen als bei der Ballade “Ich will nicht werden wie mein Vater”, mit der der depressive Rüstungsfabrikantensohn Joachim (David Nádvornik) den Generationenkonflikt mit den restaurativen Vätern und Müttern der Fünfziger besingt. Altnazis, Vergewaltigung, häusliche Gewalt, unterdrückte Homosexualität, Arisierung – “Ku’damm 56” lässt keine Gelegenheit aus, heiße Eisen in populäre Unterhaltung mit aufklärerischer Attitüde zu verwandeln und haut dabei gern ebenso auf die Zwölf wie der grell ausgesteuerte Sound der Band. In der zweite Hälfte mehren sich dann die Balladen und damit die emotionalen Farben. Das Premierenpublikum dankt mit Jubel und Standing Ovations.