„Langue Étrangère“ im Wettbewerb der Berlinale: Schau, wie krass ich bin
Mit der deutsch-französischen Freundschaft scheint es 60 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrags nicht weit her zu sein. „Warum sind alle Deutschen blond?“, fragt eine Schwarze Schülerin aus Straßburg in die sehr weiße Leipziger Klasse, mit der ihre französische Klasse per Videoschalte eine gemeinsame Unterrichtsstunde verbringt. „Warum wird bei euch ständig gestreikt. Wollt ihr nicht arbeiten?“, fragt ein deutscher Junge zurück. Antworten gibt es keine.
Auch abseits der Schule läuft es in Claire Burgers Wettbewerbsbeitrag „Langue Étrangère“ richtig mies zwischen der Straßburgerin Fanny (Lilith Grasmug), die für vier Wochen bei Lena (Josefa Heinsius) in Leipzig zu Gast ist. Eigentlich sind ihrer Mütter befreundet, die 17-jährige Lena hat nicht wirklich Lust auf den Besuch der gleichaltrigen Fanny und zeigt ihr das auch.
Erst als sie die Gastschülerin eines Abends nach einem Telefonat weinend im Garten trifft, ändert sich das Verhältnis der beiden. Sie habe mit einer schwangeren Freundin telefoniert, deren Vater ihr die Abtreibung verbietet, sagt Fanny. Eine Lüge, denn in Wirklichkeit hatte sie sich gerade bei ihrer Mutter über die Situation in Leipzig beklagt. Die feministische Lena nimmt die Geschichte für bare Münze und zeigt sich sofort solidarisch.
Als Zuschauerin ist man ab diesem Moment skeptisch, wenn Fanny aus ihrem Leben erzählt. Etwa, dass sie eine ältere Halbschwester hat, die als linke Politaktivistin unterwegs ist, zu der sie aber keinen Kontakt hat. Bei Lena haben diese Storys genau den von Fanny gewünschten Effekt: Sie beginnt, sich für ihren Gast zu interessieren, bietet ihr Hilfe bei der Suche nach der Schwester an. Langsam kommen sich die beiden jungen Frauen näher und spätestens nach einer Partyknutscherei wird klar, dass auch Verliebtheit im Spiel ist.
Claire Burger inszeniert das auf geradlinig-plausible Weise, mit der Handkamera nah an ihren Protagonistinnen, wobei sie auch deren Mittelschichtsfamilien mit in den Blick nimmt. Lenas Mutter Susanne (Nina Hoss) versucht, über eine Trennung hinwegzukommen und setzt dabei stark auf Weißwein. Was bei einem gemeinsamen Essen mit dem Ex und ihren Eltern, die noch nicht wissen, dass er und seine Zwillinge ausgezogen sind, zu einem Eklat führt. Eine Sequenz, in der Nina Hoss zu Höchstform aufläuft.
Die Zeichnung der Familien – bei Lenas Gegenbesuch in Straßburg rücken Fannys Eltern in den Fokus – gelingt Burger überzeugender als die immer wieder skizzierte Verbindung von jugendlicher Identitäts(er)findung mit politischem Protest. Diese wirkt ähnlich gezwungen wie die historischen Exkurse zu den Montagsdemos von Leipzig.
Doch wenn „Langue Étrangère“, der vielleicht etwas besser in der Generation 14plus aufgehoben gewesen wäre, in der Gefühlswelt von Fanny und Lena bleibt, zieht er in den Bann. Dazu trägt auch der elegante Umgang mit den Muttersprachen der Freundinnen bei. Größtenteils sprechen sie Französisch miteinander, doch wenn es romantisch wird, kommt Deutsch in Spiel – eine schöne Überraschung.