Para-WM in der Leichtathletik: Für Niko Kappel reicht es erneut zu Silber

Als seine Konkurrenten vor dem Wettkampf um die Kugelstoßanlage herumtigerten, ihre Beine schüttelten, die Arme, nicht richtig wussten, wohin mit sich – da saß Niko Kappel seelenruhig auf einem der weißen Stühle und seine Hände lagen auf dem Schoß wie zum Gebet. Er ruhte in sich. Das war so, und das wollte er auch allen zeigen.

Als sie sich dann aufstellten zur Vorstellung, drehte sich aber auch der 28-Jährige schon mal in die Bewegungen rein, die ihn am Mittwochvormittag bei den Para-Weltmeisterschaften in der Leichtathletik in Paris ganz nach vorn bringen sollten. Als Kappels Name aufgerufen wurde, brandete im Stade Chaléty der mit Abstand größte Jubel auf. Es waren wieder viele Zuschauer gekommen, die meisten von ihnen wohl Angehörige, Mannschaftskameraden, auch einige Schulklassen – aber sind das nicht auch die größten Fans?

Als Kappel das erste Mal in den Kreidetopf griff und den Ring betrat, klatschte das Publikum bereits im Takt. Die beiden Sportler aus dem achtköpfigen Starterfeld, die vor ihm dran waren, hatten die Zehn-Meter-Marke nicht übertreffen können. Der Deutsche legte dann um einiges weiter vor –  13,59 Meter.

Fischer holte am Vortag Silber

Dass der amtierende Welt- und Paralympicssieger Bobirjon Omonov aus Usbekistan ihn kurz darauf um sechs Zentimeter übertraf, nahm Kappel auf seinem weißen Stühlchen zur Kenntnis. Als einziger Athlet nahm er zwischen seinen insgesamt sechs Versuchen dort immer wieder Platz.

Am Dienstag hatte Kappels Trainingskollege Yannis Fischer in einer anderen Startklasse der Kleinwüchsigen Gold gewonnen. Kappel hatte den Wettkampf von der Tribüne aus verfolgt und vor dem fünften Versuch von Fischer sein Handy gezückt. „Den muss ich filmen, der wird’s“, sagte Kappel laut Mitteilung des Deutschen Behindertensportverband.

Und Kappel sollte tatsächlich recht behalten. Mit 11,43 Metern verbesserte der Weltranglisten-Erste Yannis Fischer seine persönliche Bestweite im fünften Versuch um 23 Zentimeter und schnappte sich Gold.

Hatte Kappel also am Tag darauf auch für sich selbst gespürt, dass er an der Reihe ist? Filmen konnte er sich ja schlecht selbst, aber alles an seiner Körpersprache deutete am Mittwoch darauf hin, dass er eine nun schon länger andauernde Jagd nach dem Titel endlich beenden könnte. Nach seinen Erfolgen bei den Paralympics 2016 und den Weltmeisterschaften 2017 hatte es für Kappel bei den darauffolgenden zwei Weltmeisterschaften zu Silber gereicht, bei den Paralympics in Tokio landete er vor zwei Jahren auf Platz drei.

Bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Singen war Kappels Kugel nun jüngst bei 14,84 Meter gelandet – sein drittweitester Stoß überhaupt, nur 15 Zentimeter unter seinem Weltrekord aus dem vergangenen Jahr. Der Athlet vom VfB Stuttgart war also als heißer Favorit – neben dem 22-jährigen Omonov – nach Paris gekommen.

Es folgte Kappels zweiter Versuch, und es gleicht ja einem Tanz, wenn er erst die Hacken an die Absprungkante stellt, dann durch den Ring schreitet, eine genaue Abfolge an Minischritten wieder zurück, ehe er die perfekte Ausgangsposition erreicht hat. Mit seinem angewinkelten rechten Arm drückt er die Kugel gegen den Hals, der linke ausgetreckt, anderthalb schnelle Drehungen und hoch hinaus flog die Kugel am Mittwoch. Weiter als zuvor, das wusste Kappel sofort, ballte die linke Faust Richtung Tribüne, schrie die Anspannung heraus. Er hatte Omonov mit 14,32 Meter einigermaßen weit distanziert.

Doch der Usbeke konterte – 14,69 Meter. Niko Kappel sollte in seinen weiteren Versuchen diese Weite nicht mehr überbieten können. Sein bester Wurf landete an diesem Tag bei 14,49 Meter. Omonov untermauerte seine derzeitige Sonderstellung in Kappels Startklasse und haute mit seinem sechsten Wurf noch einmal einen raus. Mit einer Weite von 14,73 Meter verteidigte er zurecht seinen WM-Titel. Das sah wohl auch Kappel so, der sich sichtlich über die erneute Silbermedaille freute.

Mit der deutschen Fahne um die Schultern ließ er sich von seinen Fans feiern, strahlte, klatschte auf der Tribüne mit Schulkindern ab. Die Kreide staubte auf und sie kamen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus.