Lor Sabourin ist trans – und findet Sicherheit als Felskletter*in
Lor Sabourin beißt die Zähne zusammen und klammert sich mit beiden Händen in der schmalen Felsspalte fest. Die Finger sind weiß von der Kreide, die verhindern sollen, dass Sabourin abrutscht. Langsam fährt die Kamera zurück und man sieht, wie Sabourin sich in schwindelerregender Höhe an einem sandfarbenen Felsen klammert und nur von einem Seil gehalten wird.
Es ist der vierte Kletterabschnitt einer insgesamt 180 Meter langen Route im Norden von Arizona. Wenige Sekunden später hat Sabourin endlich das erste Zwischenziel erreicht und verschnauft auf einem Felsvorsprung. „Am Klettern reizt mich, dass ich etwas versuchen will, was sich fast unmöglich anfühlt.“
Sabourin identifiziert sich als trans* und benutzt im Englischen die Personalpronomen „they/them“. Der Dokumentarfilm „They/Them“ begleitet Sabourin durch die Sandsteinschluchten Arizonas und fängt Momente ein, in denen Sabourin mit schweren Felsabschnitten kämpft, über die eigene Identität nachdenkt und Kindheitserinnerungen Revue passieren lässt.
Produziert wurde der Film von dem US-amerikanischen Hersteller Patagonia, der damit die Aufmerksamkeit für marginalisierte Personen im Outdoor-Sport erhöhen möchte. Er ist kostenlos auf der Website zu sehen.
Verletzende Umgebungen
Für Sabourin ist Klettern weit mehr als ein Sport; es ist ein Weg, die eigene Identität kennenzulernen und Resilienzen aufzubauen in einer Welt, die nach wie vor zweigeschlechtlich geprägt ist. Mittlerweile klettert Sabourin nicht nur selbst, sondern trainiert andere und ist außerdem als Bergführer*in tätig „Es ist wie eine Übung, sich in einer verletzlichen Umgebung aufzuhalten“, beschreibt Sabourin einen besonders herausfordernden Felsenabschnitt.
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Damit, sich in Umgebungen aufhalten zu müssen, die verletzend sein können, hat Sabourin Erfahrung. Immer wieder wurde Sabourin in der Vergangenheit mit den falschen Pronomen angesprochen oder musste sich gegenüber anderen Menschen rechtfertigen. Besonders schwierig war es im Kindes- und Jugendalter, als Sabourin nicht wusste, dass es andere nicht binäre Personen gab. „Es ist wirklich schwer zu artikulieren, was los ist, wenn du keine Worte dafür hast.“
Als Zuschauer*in ist man ganz nah dran, wenn Sabourin klettert, auf den Felsenvorsprüngen pausiert und kalorienarme Snacks wie Grünkohlriegel isst. Lieber würde Sabourin sich einen Müsliriegel oder ein Erdnussbutterbrot schmecken lassen, aber an Tagen, wo es Sabourin psychisch schlecht geht, geht sowas nicht runter.
Kampf mit der Körperdysphorie
Offen erklärt Sabourin, dass die Essstörung bereits im Teenager-Alter ein Weg gewesen mit der eigenen Körperdysphorie umzugehen, also dem Gefühl „in einem Körper gefangen zu sein, der nicht zur eigenen Geschlechtsidentität passt“. Während der Therapie musste Sabourin feststellen, dass zuzunehmen auch bedeutete, sich femininer zu fühlen und erneut mit Körperdysphorie zu kämpfen zu haben.
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Sabourin entschied sich für eine medizinische Transition aber zeigt im Film Grenzen auf „Es ist nicht okay, trans* Personen nach ihren Erfahrungen mit der Transition zu fragen. Das sind persönliche medizinische Fragen.“
Verletzende Fragen bekam Sabourin auch nach einem Interview im Kletter-Magazin „Rock and Ice“ . Was folgte waren zahlreiche transfeindliche Kommentare in den sozialen Medien, sodass Sabourin sich zeitweise zurückzog. In der Dokumentation schildert Sabourin, wie schmerzvoll es ist, die eigene Identität verstecken zu müssen und macht deutlich, wie Sport einem das Gefühl der Sicherheit im eigenen Körper zurückgeben kann; wie befreiend es sein kann, draußen zu sein. Viele würden Felsklettern für einen abenteuerlichen oder gar gefährlichen Sport halten. Für Sabourin hingegen vermittelt es eine Sicherheit, die der Alltag nicht bietet