Sensationen des Alltäglichen

Für alle sichtbar ist er in Berlin nur einmal geworden. Als sich 2008 die kastenförmige Architektur der Temporären Kunsthalle auf die nördliche Brache am Schlossplatz setzte, bekamen die finanziellen Unterstützer plötzlich ein Gesicht. Dieter Rosenkranz trat für die Stiftung Zukunft Berlin auf, die fast eine Million Euro zur Realisierung des Projekts gegeben hatte.

Rosenkranz, einer der größten und generösesten Sammler der Stadt, wollte unbedingt den Diskurs. Eine leidenschaftliche Debatte über die Zukunft der Gegenwartskunst in Berlins Mitte, wo man gerade die letzten Reste des Palastes der Republik demontiert hatte – und damit einen der spannendsten experimentellen Orte.

Zwei Jahre stellten Künstlerinnen hier aus

In der Halle stellten zwei Jahre lang Künstler:innen aus, es gab Podien zur Frage, ob Berlin eine neue Kunsthalle braucht. Außerdem eine Form der Selbstzerfleischung, die nach gut zwölf Monaten einen erbosten Rosenkranz auf den Plan rief. Seine Kritik war heftig, es fehlte ihm die Breitenwirkung der Auseinandersetzung. Dennoch übernahm der Unternehmer anschließend noch für ein Jahr die Eintrittsgelder, um wirklich jedem eine Teilhabe zu ermöglichen.

Dass es aussah, als wolle er ebenfalls die Inhalte mitbestimmen, war eines von vielen Missverständnissen. Aber vielleicht auch ein Grund, weshalb sich Dieter Rosenkranz anschließend wieder diskret zurückzog.

Sein Engagement und das seiner Frau Si Rosenkranz verschob sich leicht, ein Akzent lag nun auf sozialen Projekten, in denen es immer um Bildung ging. Unabhängig davon machte das Paar dort weiter, wo Dieter Rosenkranz 1958 mit dem Erwerb erster Verpackungsobjekte und Zeichnungen von Christo und Jeanne-Claude begonnen hatte, es baute seine hervorragende Sammlung immer weiter aus.

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Ganze 95 Jahre ist Dieter Rosenkranz geworden, sein Tod in der vergangenen Woche ist ein echter Verlust für die Stadt. Der gebürtige Berliner, dessen Familie im Schatten der Weltwirtschaftskrise das Unternehmen nach Wuppertal verlagerte, hat sich für sein Mäzenatentum nie feiern lassen. Lieber wirkte er leise im Resonanzraum der Kultur, den er für sich selbst als existenziell empfand. Kunst als Ausgleich für die Strenge und Präzision der Mathematik – die ihm ebenso lag.

Nach 1945 studierte Rosenkranz Maschinenbau in Stuttgart und wurde dort erstmals mit einem Bild von Piet Mondrian konfrontiert, das ihm bis dahin ungekannte Horizonte eröffnete. Danach war er als Maschinenbauer und Textilfabrikant von Wuppertal aus erfolgreich. Noch als 70-Jähriger machte er eine kleine Firma im Schwarzwald zum Weltmarktführer für bestimmte Druckventile.

Friedrich der Große von Warhol

Parallel dazu erschloss sich das Ehepaar, ausgehend von Christos Idee der öffentlichen, jedem zugänglichen Projekte die zeitgenössische Kunst. Abstrakte und geometrische Werke der europäischen Moderne gesellten sich in der Sammlung Rosenkranz zu experimentellen Konzepten der 1960er Jahre wie von Klaus Rinke oder Werken der amerikanischen Westküste. Ein Porträt Friedrichs des Großen aus der Hand von Andy Warhol zum Beispiel, dazu Arbeiten von James Turrell, Sam Francis oder Ed Ruscha .

Als sich das Paar 2002 für einen Umzug von Wuppertal nach Berlin entschied, um den aktuellen künstlerischen Strömungen möglichst nahe zu sein, wurde es vom Von der Heydt-Museum mit einer großen Schau von gut 300 Exponaten verabschiedet.

Ein seltener Einblick in die Sammlung das Paares, das dem Leipziger Museum der Bildenden Künste den ständigen Zugriff auf 500 Objekte erlaubte und seine Erwerbungen in Berlin auf diverse Museen verteilte.

All art has been contemporary

Im Entree des Ostasiatischen Museums in Dahlem stand 2005 als Leihgabe eine Video-Installation von Nam June Paik, das Jüdische Museum erhielt 15000 Eisenköpfe des israelischen Künstlers Menashe Kadishman. Rosenkranz selbst brachte die leuchtende Neonschrift von Maurizio Nannucci am Alten Museum an: „All art has been contemporary“.

Genau so hielt es Dieter Rosenkranz ein Leben lang mit der Kunst. Sozialisiert hat sie ihn vor über einem halben Jahrhundert mit allem, was damals dem Zeitgeist entsprach. Dort ist er nicht stehengeblieben, sondern neugierig auf alles zugegangen, was von Bedeutung für die jeweilige Gegenwart war. Vor allem aber wollte er seine Erfahrungen teilen und vermitteln, wie sehr ihn die Kunst für die „ Sensationen des Alltäglichen“ zu sensibilisieren vermochte. Ein Vermächtnis, das sich vielleicht auch ohne ihn in den Köpfen fortpflanzt.