Das Europapokalabenteuer des 1. FC Union macht Lust auf mehr
Es ist selten, dass im Fußball ausnahmslos alle Beteiligten das gleiche Fazit ziehen und so endete eine besondere Europapokalsaison des 1. FC Union bemerkenswert einmütig. Egal welchen Berliner man fragte, alle schwankten sie nach dem Ausscheiden aus der Conference League zwischen Enttäuschung und Stolz. „Das war eine unglaubliche Erfahrung für den ganzen Verein und hat eine Menge Spaß gemacht. Dass es so endet, ist aber bitter“, sagte Mittelfeldspieler Grischa Prömel stellvertretend für alle Berliner.
Beim 1:1 gegen Slavia Prag am Donnerstag fehlte Union nur ein Tor zum Einzug in die Zwischenrunde, doch davon war der Bundesligist ehrlicherweise weit entfernt. Es war viel zu einfallslos, was die Berliner im Olympiastadion boten – und die sechs Gruppenspiele im kleinsten der drei europäischen Wettbewerbe haben auch gezeigt, was der Mannschaft von Urs Fischer noch fehlt: Cleverness, Ruhe, Erfahrung. Oder wie es der Schweizer Trainer zusammenfasste: „Ich glaube, dass wir in dieser Kampagne Lehrgeld bezahlt haben. Auf internationalem Niveau darfst du dir solche Fehler nicht leisten.“
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Der folgenschwere Aussetzer von Timo Baumgartl vor dem Prager Führungstreffer war nur der letzte in einer ganzen Reihe von Unkonzentriertheiten. Im Hinspiel gegen Slavia flog Paul Jaeckel früh und naiv vom Platz. In Rotterdam kam das ganze Team nie wirklich ins Spiel und im zweiten Duell mit Feyenoord schenkte Torwart Andreas Luthe auf rutschigem Boden einen Treffer her. „Das zieht sich leider durch die Conference League“, sagte Christopher Trimmel. Der Kapitän leistete sich in der ersten Halbzeit ebenfalls einen schweren Fehler und hatte Glück, dass die Latte Union zu diesem Zeitpunkt noch vor dem Rückstand bewahrte.
In den insgesamt acht internationalen Auftritten dieser Saison gelang es den Berlinern viel zu selten, auch spielerisch so reif aufzutreten, wie das in der Bundesliga regelmäßig der Fall ist. „Mit dem Ball ist uns zu wenig eingefallen und wir haben dann zu früh die langen Bälle gespielt“, sagte Prömel. Fischer versuchte aus der mangelnden Ruhe in der Schlussphase etwas Positives mitzunehmen. „Auch das ist ein Lernprozess und du wirst wieder in ähnliche Situationen kommen.“
„Schon die Qualifikation war außerordentlich; wer hat uns das zugetraut?“
Dass es gegen Slavia nicht zu einem Sieg reichte, war aufgrund der eklatanten Ideenlosigkeit ebenso verdient wie das Ausscheiden nach der Gruppenphase. Darüber dürfen sich die Berliner durchaus ärgern, denn es wäre mehr möglich gewesen. Dennoch klang schon wenige Minuten nach dem Abpfiff durch, dass das Gesamtfazit überwiegend positiv ausfällt.
Nach 20 Jahren Abstinenz hat Union erstmals wieder international gespielt und dabei gezeigt, dass man auf diesem Niveau anders als 2001 als Zweitligist durchaus mithalten kann. Das gilt natürlich sportlich mit Spielen gegen einen ehemaligen Europapokalsieger wie Feyenoord, reicht aber weit darüber hinaus. „Es war schön zu sehen, was für eine Wucht, was für eine Power so ein kleiner Verein wie Union entfachen kann“, sagte Prömel. „Sei es in Prag, in Rotterdam oder wie heute vor 5000 Mann im Olympiastadion, der Support ist grandios und ganz wichtig für uns Spieler.“
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Während zahlreiche größere Klubs schon die Europa League als lästige Pflichtaufgabe sehen und viele Fans (und auch Spieler wie Kruse) die Einführung eines dritten Uefa-Wettbewerbs für völlig unnötig hielten, hat sich die Conference League für Union als äußerst attraktiv erwiesen. Die Namen der Gegner waren bei Weitem nicht so unbekannt wie zu befürchten stand und gerade die lautstarken Berliner Fans haben den Klub zumindest etwas deutlicher auf die europäische Fußballlandkarte gesetzt. „Das waren tolle Momente und ich nehme ganz viele Dinge mit“, sagte Fischer, der als einer der wenigen Beteiligten bereits zuvor über einige internationale Erfahrung verfügte. „Schon die Qualifikation war außerordentlich; wer hat uns das zugetraut?“
Mittlerweile wäre eine neuerliche Europapokalteilnahme der Berliner zwar immer noch eine Überraschung, aber keine große Sensation mehr. Trotz der großen Belastung der ersten fünf Saisonmonate mit bisher neun Englischen Wochen steht Union in der Liga auf Platz sechs und könnte sich mit einem Erfolg beim noch sieglosen Schlusslicht Greuther Fürth am Sonntag (15.30 Uhr, Dazn) weiter in der oberen Tabellenhälfte etablieren. Doch solche Gedankenspiele gehen Fischer bereits zu weit. „Auch wenn es eine tolle Erfahrung war für die Jungs und den ganzen Verein, bleiben wir unserem Weg treu“, sagte der Trainer. Die Bundesliga sei ein Marathon und das Ziel bleibe der Klassenerhalt. Das war er allerdings auch bis ins vergangene Frühjahr.