Ausstellung über Italiener in Prenzlauer Berg: Melodien für Millionen
Drehorgeln waren einst so typisch für Berlin wie Molle und Korn. Im späten 19. Jahrhundert dudelte es ständig auf Straßen, Plätzen und Hinterhöfen. Die Ärmsten der Armen hofften auf ein paar Groschen, wenn sie an der Kurbel drehten und populäre Musikstücke abspielten. Oft saß ihnen dabei ein mitgemieteter Affe auf der Schulter, der das Publikum mit allerlei Tricks unterhielt.
Dass geschäftstüchtige Einwanderer aus Italien diesen Boom befeuerten, ist inzwischen in Vergessenheit geraten. Viele von ihnen siedelten sich damals im Prenzlauer Berg an. Die Ausstellung „Musica di strada“ im Museum Pankow geht ihren Spuren nach und bietet überraschende Einblicke. Zwischen Schönhauser Allee, Buchholzer Straße, Pappelallee und Ringbahn entstand ab den 1870er Jahren Berlins „Little Italy“. Schätzungen zufolge lebten zur Zeit der Jahrhundertwende bereits um die 1300 Italiener in der Stadt, deren Familien sich gut untereinander vernetzten.
Die Neuankömmlinge, die zumeist aus Norditalien stammten, waren häufig Handwerker oder Händler. In Stuckbauten verlegten sie modische Terrazzoböden, die teils noch heute erhalten sind. Andere verkauften Gipsfiguren, Spielwaren und Südfrüchte oder eröffneten die ersten italienischen Restaurants und Eisdielen.
Erfolgreiche Orgelbauer
Giovanni Battista Bacigalupo, ein Bauernsohn aus dem Dorf Ognio im Hinterland von Genua, verließ seine Heimat schon als Kind. Landarbeiter fristeten im jungen Nationalstaat Italien meist ein kärgliches Dasein. Ihnen wurden nur kleine Parzellen zugeteilt, von deren Erträgen sie kaum leben konnten. In England tanzte der Junge zu Straßenmusik und lernte Drehorgeln zu reparieren. Gemeinsam mit dem Orgelbauer Chiaro Frati, den er in London kennenlernte, eröffnete Bacigalupo 1877 in Berlin die erste Fabrik für mechanische Musikwerke.
Mit dem Verkauf von Cornettino-, Harmonipan- und Clariton-Drehorgeln, die Musik auf bestifteten Walzen abspielten, machten sie international gute Geschäfte. Hinzu kamen Einnahmen aus dem Verleih an lokale Leierkastenmänner. Zu Weltruhm gelangte Bacigalupo dann in den 1890er Jahren. Mit dem Orgelbauer John Cocchi und dem ligurischen Kaufmann Antonio Graffigna gründete er eine Instrumentenbaufirma, die in der Schönhauser Allee rund 50 Mitarbeiter beschäftigte.
Zum Sortiment gehörten Orgeln, Dreh- und Handpianos und Orchestrions – riesige Musikautomaten, die quasi als Vorläufer der Jukebox ganze Salonorchester imitieren konnten. Die Nachfrage war groß, Instrumente aus Berliner Produktion wurden bis nach Nord- und Südamerika geliefert. In der Ausstellung sind verschiedene Orgeln zu sehen, die jeden Sonntagvormittag zum Klingen gebracht werden. Größtenteils stammen sie aus dem Fundus des Märkischen Museums, das sanierungsbedingt für mehrere Jahre geschlossen ist.
Ein besonderer Blickfang ist das imposante, über drei Meter hohe Orchestrion „Fratihymnia“. Im Innern befinden sich Pfeifen für Violinen, Celli, Bässe, Klarinetten und Flöten, ein Xylophon und Metallophon sowie ein Schlagwerk. Das 1900 von Cocchi, Bacigalupo und Graffigna gebaute Instrument wurde später mit neuer Technik ausgestattet. An Stelle des Gewichtsaufzugs, der ähnlich funktionierte wie ein mechanisches Uhrwerk, erhielt das Orchestrion nun einen Elektromotor und eine Windmaschine.
Noch bis 1951 spielte „Fratihymnia“ im Restaurant Genua in der Schönhauser Allee, damals eine der ältesten und zugleich letzten italienischen Gaststätten im Prenzlauer Berg. Die große Zeit der Drehorgeln war da allerdings schon längst vorbei. Schallplatten und Radio hatten ihnen rasch den Rang abgelaufen. Giovanni Battista Bacigalupo bewies wieder einmal früh den richtigen Riecher, als er sich bereits 1905 aus dem Geschäft zurückzog und ein Restaurant in Moabit eröffnete. Zwei seiner Söhne führten den Drehorgelbau in der Schönhauser Allee weiter, bis in die 1970er Jahre blieb das Handwerk in Familienhand.