Frau Del Rey sucht das Glück

Möglicherweise ist es die größte Liebeserklärung, die der Stadt der Engel jemals gemacht wurde. Schwere Klavierakkorde, dann säuselt Lana Del Rey: „My body is a map of L.A.“ Ihr Körper ist also eine Landkarte von Los Angeles, und dann singt sie von ihrer Brust als Sierra Madre und von ihren Hüften, auf denen sämtliche Haupt- und Nebenstraßen zu finden seien. Im Video zum Song steht die Sängerin im gleißenden Gegenlicht und fährt mit ihren Händen über die besagten Körperpartien. Bis sich das Bild verdunkelt und ihr knappes Shirt zur Projektionsfläche wird, auf der Autokolonnen im Zeitraffer über einen nächtlichen Highway gleiten.

Eine Verschmelzungsfantasie. Das Lied heißt „Arcadia“. Ar-ca-dia, drei Silben, die Lana Del Rey im Refrain, gebettet auf Geigen und mit Trompeten im fernen Hintergrund, genüsslich zerdehnt. Am Ende wird aus „Arcadia“ dann „America“. Amerika als neues Arkadien, als Traumlandschaft, in der sich Sehnsüchte erfüllen. Klingt überkandidelt und ist vielleicht auch nicht so gemeint, weil es in „Arcadia“ wohl noch mehr um einen Mann geht. Nach seinen Berührungen sehnt sich die Sängerin. Die Wege, die zu ihm führen, sind für sie „wie Arterien“.

Überkandidelte Metaphern

„Arcadia“ gehört zu den bemerkenswertesten Songs auf Lana Del Reys achtem Studioalbum „Blue Banisters“, das am Freitag erschienen ist. Dabei hatte die 36-jährige Sängerin erst im März ihre Platte „Chemtrails Over The Country Club“ veröffentlicht, bei der sie einen ironischen Abgesang auf die Trump-Ära mit Einblicken in ihr Seelenleben verband.

„Blue Banisters“ knüpft an den Folkpop des Vorgängers an und ist ihr bislang autobiografischstes Werk. Seit sie 2011 mit ihrer lasziven Hymne „Video Games“ zum Star wurde, ist Elizabeth Grant – so ihr bürgerlicher Name – vorgeworfen worden, eine Männerfantasie und eine Antifeministin zu sein.

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Auch mangelnde Solidarität mit afroamerikanischen Kolleginnen ist ihr vorgehalten worden. Vor Erscheinen von „Blue Banisters“ hat sie sich für mehrere Wochen aus den sozialen Medien zurückgezogen. Im Video des Titelsongs streicht sie das Geländer eines Landhauses. Auf dem Albumcover zeigt sie sich mit ihren beiden Schäferhunden.

Traumauto Ford Thunderbird

Mit einem grummelnden Bass und hellen Glockenschlägen setzt das Auftaktstück „Text Book“ ein, das von einer gescheiterten Beziehung handelt. Es geht um einen Mann, den sie sich ausgesucht hatte, weil er ihrem Vater ähnelte. Er besaß sogar dasselbe Auto wie der Vater: den Ford Thunderbird, einen Klassiker des US-Fahrzeugbaus. Zusammen mit dem Geliebten habe sie „Black Lives Matter“ bei einer Demonstration skandiert. Mutmaßlich ist die Rede von Del Reys Ex-Verlobten Clayton Johnson, von dem sie sich im Sommer trennte.

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„Don’t tell me to be glad when I’m sad“, ruft die Sängerin in „Beautiful“ dem Verflossenen hinterher, einer minimalistischen Klavierballade, die in Trauer badet. Und im von herrlichem Getrommel begleiteten Song „Black Bathing Suit“ wünscht sie einen Boyfriend herbei, mit dem sie Eis vorm Fernsehen essen kann. Wieder eine Bilanz, diesmal des kalorienreichen Lockdowns. Ihr Badeanzug sei das eigene Kleidungsstück, das ihr noch passt.

[„Blue Banisters“ ist bei Polydor/Universal erschienen]

Auch vom Produzenten Jack Antonoff, mit dem sie ihr bestes Album „Norman Fucking Rockwell!“ aufnahm, hat Lana Del Rey sich getrennt. Wichtigster Kollaborateur war nun Zach Dawes, Bassist der Last Shadow Puppets, die ähnlich nostalgisch im pompösen Pop der Sixties schwelgen. Die summend intonierte Folkhymne „Nectar of the Gods“ könnte auch von Crosby, Stills & Nash stammen, der Countrywalzer „If You Lie Down With Me“ endet mit fröhlich trötenden New- Orleans-Jazztrompeten.

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Das musikalisch interessanteste Stück auf „Blue Banisters“ heißt „Dealer“, eine schwebend schöne, von Bass und Beckenschlägen getragene Hommage an den Soulrock der Siebziger. Lana Del Rey teilt sich das Mikrofon mit Miles Kane von den Last Shadow Puppets und treibt ihren Gesang in furienhaft kreischenden Zorn.

Die Diva als Bad Girl, eines ihrer beliebtesten Rollenspiele. Viele andere Titel folgen einer immergleichen Dramaturgie. Sie beginnen mit zaghaften Klavierakkorden, dann setzt der flüsternd-schläfrige Gesang ein. Im letzten Song „Sweet Carolina“ wird Lana Del Rey von ihrem Vater Rob Grant am Piano begleitet. Es ist ein Ständchen für ihre Schwester, die vor kurzem Mutter wurde.