Finnischer Abend in der Philharmonie : Vom Blühen und Vergehen
Ist es die Trompete, die da gerade wie eine Flöte klingt, gegen Ende von „A Requiem in Our Time“? Nach dem wuchtigen „Dies irae“ trägt die Tuba ein besonnenes Klagelied vor, die übrigen Blechbläser gesellen sich in Wiegeschritten dazu, gefolgt von jenem Klangrätsel, das Einojuhanis Rautavaaras Zehn-Minuten-Werk für Blechbläser und Schlagzeug nach reichlich Kriegsgetrommel und Schreckmomenten doch noch die Eindringlichkeit verleiht, die man von einem Requiem erwartet.
Der finnische Komponist hat es 1953 dem Gedächtnis der eigenen Mutter gewidmet, die 1939 zunächst als Ärztin im Lazarett arbeitete, mit ihrem kleinen Sohn vor den Bomben floh, den Krieg aber nicht überlebte.
Ein finnischer Abend der Berliner Philharmoniker mit Mikko Franck. Der 1979 in Helsinki geborene Maestro leitet seit 2015 das Orchestre Philharmonique de Radio France, die französische Klangzauberkultur hat er sich unüberhörbar anverwandelt. Wobei er in Jean Sibelius’ 5. Symphonie nie hemmungslos schwelgt und das schlankere Forte dem Fortissimo vorzieht. Franck setzt auf Transparenz und Geschmeidigkeit, ein Klangredner, kein Effekthascher. Auch wenn es ihn häufig vom Stuhl reißt (er dirigiert wegen seines Rückenleidens seit vielen Jahren im Sitzen) und er sich einzelnen Instrumentengruppen zuwendet, mit mal energischer, mal sublim choreografierender Gestik. Ein Dirigent auf Tuchfühlung und Augenhöhe, schon weil Franck auf ein Pult verzichtet.
Sei es das Pianissimo-Pizzicato der Streicher samt duftigen Flöten-Staccati im Andante oder das berühmte Schwanen-Thema im Finale, dessen Quint-Intervall sich zur Septime weitet, oder die langen Generalpausen zwischen den Akkorden der Schlusskadenz: Die Philharmoniker folgen ihrem Gastdirigenten bereitwillig. Die Details der Kernmotivik mit ihren engmaschigen Mutationen kosten sie feinsinnig aus, all die Überschreibungen, Verfremdungen, Verwerfungen. Und schöner noch als die opulent erstrahlenden Tutti gelingt das allmähliche Verwelken von Sibelius‘ blühenden Landschaften.
Vor der Pause hatte sich der Rundfunkchor Berlin zum Orchester gesellt. Für Esa-Pekka Salonens „Karawane“ stehen etwa 150 Musiker:innen auf der Bühne, was für ein Klangkörper. Die Schlagzeuger lassen Regenhölzer rieseln, nutzen Bongos, Xylophon, große Trommel und Trillerpfeife, der Pianist wechselt von der Celesta zum Flügel, der Chor flüstert, schreit, steuert amüsante Scat-Gesänge bei und beschwört raunend Geheimbündlerisches.
Salonen, der in dieser Saison als „Composer in Residence“ in der Philharmonie firmiert, hat seinem 2014 uraufgeführten Werk Hugo Balls Lautgedicht „Karawane“ zugrunde gelegt – der Dada-Dichter dachte dabei an eine Elefantenparade.
Einen tieferen Sinn vermag man während des 30-minütigen Budenzaubers nicht unbedingt zu erkennen. Was soll’s. Spaß macht es allemal, wenn Gongs und Becken an balinesische Gamelan-Musik gemahnen oder wenn respektheischende Ritualmusik hypnotischen Passagen mit dicht geschichteter Rhythmik und impressionistisch-flimmernden Klangflächen weicht. Extra-Applaus für Olaf Maningers wehmütigen Cello-Gesang, in den Albrecht Mayers Oboe träumerisch einstimmt.