So leicht, so schwermütig
Schwarze Schwäne, auch Trauerschwäne genannt, stammen aus Australien, wohin Pawlow, der Protagonist der gleichnamigen Erzählung Gaito Gasdanows, einmal reiste. Der antike Dichter Juvenal imaginierte sie in seinen „Satiren“, sie stehen symbolisch für Außergewöhnliches und Unwahrscheinliches. Pawlow, ein in Paris lebender russischer Emigrant, ist ein außergewöhnlicher, unwahrscheinlicher Charakter.
Gleich im ersten Satz – der genauso gut ein Schlusssatz sein könnte – liest der Ich-Erzähler in der Zeitung, dass er sich im Bois de Boulogne umgebracht hat. Darüber hat ihn Pawlow bereits vorab unter Nennung des genauen Datums in Kenntnis gesetzt.
Die Todesnachricht löst nun im Erzähler, einem alten Jugendfreund, einen fragmentarischen Erinnerungsprozess aus, der rückblickend um den Selbstmörder kreist. Nachts hat er studiert, tagsüber in der Fabrik gearbeitet, ein ziemlich schwieriger Mensch war dieser Pawlow, eigen und unabhängig, aber auch einsam und unnahbar.
Sukzessive erfährt man als Leser vieles, nur wollen sich die vielen Fragmente zu keinem Ganzen fügen. Pawlow bleibt ein Phantom – er soll geheimnisvoll bleiben. In Australien habe er einmal Zehntausende schwarze Schwäne gesehen, deren Schwingen den Himmel verdeckten, berichtet er dem Erzähler. Dieses Bild berge eine Möglichkeit, „alles, was existiert, anders zu verstehen“.
Selbstmorde und andere Todesarten finden sich auch in den weiteren, von der kongenialen Übersetzerin Rosemarie Tietze ausgewählten, überwiegend frühen Erzählungen Gasdanows, die jetzt unter dem Titel „Schwarze Schwäne“ in einem Band versammelt sind.
Schwermut begegnet er mit Leichtigkeit und Schönheit
Es handelt sich um eine stimmige thematische Auswahl, ist doch der Tod ein Sujet, das den 1903 in Sankt Petersburg geborenen Schriftsteller umtrieb: Bereits im Alter von sechzehn Jahren kämpfte er im Bürgerkrieg gegen die Bolschewiken, viele Jahre verbrachte er als Emigrant in Paris, schließlich landete er in München, wo er 1971 starb.
Auch in seinen Romanen spielt der Tod eine zentrale Rolle, zum Beispiel in „Das Phantom des Alexander Wolf“ oder in „Die Rückkehr des Buddha“, die beide ebenfalls von Rosemarie Tietze übersetzt wurden. Durch diese Übertragungen wurde Gasdanow in den vergangenen Jahren auch in Deutschland berühmt. Der Schwere des Sujets aber steht Gasdanows musikalischer, schwebender, mitunter surreal anmutender Stil entgegen. Schwermut begegnet er in seinen Büchern mit Leichtigkeit und Schönheit.
[Gaito Gasdanow: Schwarze Schwäne. Erzählungen. Aus dem Russischen von Rosemarie Tietze, Hanser Verlag, München 2021. 272 Seiten, 24 €.]
Natürlich ist der Tod nicht sein einziges Motiv. Neben dem Kriegsgrauen und den Traumata des Exils, die er literarisch verarbeitete – ohne je so etwas wie einen klassischen Plot zu entwickeln – , springt hier vor allem Paris, die „Hauptstadt der Moderne“, ins Auge. Gasdanow ist auch ein Flaneur, der seine Impressionen, Erinnerungen und Gedanken über die Vergänglichkeit in einen Bewusstseinsstrom flicht, dessen rhythmischem Sog man sich nur schwer entziehen kann.
Der russische Exilant, der es nicht nötig hat, ständig mit Nabokov verglichen zu werden, ist dem Dichter der „Fleurs du Mal“ verwandt, den er ausführlich zitiert. Das Bild des Schwans, der in Baudelaires berühmtem Gedicht sein reines und weißes Gefieder zitternd und mit schleifenden Flügeln im Staub badet, könnte auch von Gasdanow sein.