Filmemacher*in Julia Fuhr Mann im Porträt: Ein queerer Blick auf den Leistungssport 

Dass Julia Fuhr Mann in der deutschen Filmbranche eine Ausnahmeerscheinung ist, lässt sich bereits an der Email-Signatur ablesen. In einer Branche, die von alteingesessenen Strukturen zwischen Hochschulen, Förderanstalten und Sendern geprägt ist und in der ein gutes Maß an Gefälligkeit einen oft weit bringt, kommt es jedenfalls selten vor, dass jemand den eigenen Namen ganz offensiv mit dem Zusatz „queer-feministische Filmemacher*in“ versieht.

„Es passiert schon mal, dass ich das vor dem Abschicken einer Email auch wieder lösche“, lacht die* in München lebende Regisseur*in, wenn man sie* darauf anspricht. „Zum Beispiel, wenn ich einem Förderverein in der Provinz schreibe und so gar nicht einschätzen kann, wie die ticken. Aber eigentlich habe ich kein Interesse daran, mich und mein Anliegen zu verstecken.“

Körper überschreiten Grenzen

Jenseits von Selbstbeschreibungen oder Schlagworten spricht Fuhr Manns Arbeit aber ohnehin für sich. Schon bei ihrem* Film „Life is not a Competition, but I’m Winning“ an, mit dem sie* jüngst nicht nur das Dokumentarfilmstudium an der Hochschule für Fernsehen und Film München abschloss, sondern auch beim diesjährigen Filmfestival in Venedig die Woche der Kritik eröffnete, wird schnell offensichtlich, welche Themen und Fragestellungen Fuhr Mann beschäftigen.

Mit einer komplexen Mischung aus Dokumentarfilm und fiktionalen Elementen, die als Hybrid aus historischem Archivmaterial, realen Biografien und Spielszenen besticht, nimmt der mit einem überwiegend weiblichen und queeren Team entstandene und von der engagierten Produktionsfirma Schuldenberg Films unterstützte „Life is not a Competition, but I’m Winning“ die Welt des Sports in den Fokus.

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„Ich liebe es, Sport im Fernsehen zu gucken, von Fußballspielen über Tennis und Darts bis zu den Olympischen Spielen. Körper, die über ihre Grenzen hinausgehen müssen, große Emotionen, die toll inszeniert werden – alle diese Elemente haben mich schon lange fasziniert“, erzählt Fuhr Mann. „Aber ich rege mich auch immer auf über alles, was dahintersteht, seien es die Begrenzungen und Klischees mit Bezug auf das Geschlecht oder die neoliberalen Riesenorganisationen, die das Ganze in ihre Strukturen pressen.“ Entsprechend widmet sich der Film nun den Folgen, die es im Sport haben kann, wenn man nicht männlich, weiß, heterosexuell oder cis-geschlechtlich ist.

Vorsicht bei der Senderwahl!

Gemessen daran, dass diese Themen im deutschen Kino längst noch nicht fest auf der Tagesordnung verankert sind, war es vergleichsweise unkompliziert, das Projekt auf die Beine zu stellen, so Fuhr Mann. Zwar ist ein Sender nach längeren Gesprächen mit der Begründung ausgestiegen, man sei bereits an einem anderen queeren Projekt beteiligt.

Doch mit der Unterstützung des bayerischen Filmförderfonds klappte es auch dank eines klaren Treatments und stimmigen Konzepts sofort. Und mit 3Sat fand sich schließlich auch ein Sender: „Ich war richtig überrascht, weil ich vorab viel gehört hatte, wie schwierig die Zusammenarbeit mit Fernsehredaktionen sein kann. Aber unsere Ansprechpartnerin Katya Mader war super offen für alles, sowohl was Form als auch Inhalt angeht.“

Ich versuche Filme zu machen, die auch an Popkultur und den Mainstream andocken.

Julia Fuhr Mann, Filmemacher*in

Einfach bloß ein bisschen queer-feministische Thematik oder entsprechende Figuren in bestehende Narrative und Dramaturgien des Mainstreamkinos einzubauen, interessiert Fuhr Mann in jedem Fall nicht: „Ich will immer auch versuchen, einen dezidiert queeren Blick zu haben. Und dafür ist es wichtig, bestehende Strukturen zu durchbrechen und sich mit der Form auszuprobieren.“

Was nicht heißt, dass es nicht auch darum geht, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, wie die Regisseur*in betont: „Meine Arbeit richtet sich nicht nur an eine queere Bubble, deswegen nehme ich mir ja ein Themenfeld wie den Sport vor, der unglaublich viele Menschen interessiert. Ich versuche Filme zu machen, die nicht ausschließlich intellektuell und experimentell sind, sondern auch an Popkultur und den Mainstream andocken. Das, was mich beschäftigt, kann auch für andere greifbar sein, daran habe ich keinen Zweifel.“

Wie richtig Fuhr Mann damit liegt, zeigen die bisherigen Erfolge. Der Kurzfilm „Riot Not Diet“ lief ab 2018 auf mehr als 60 Filmfestivals weltweit und wurde dabei mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Und „Life Is Not a Competition, But I’m Winning“ war nicht nur Bestandteil von Locarnos First-Look-Programms, sondern erhielt auch den British Pathé Archive Award. Kein Wunder, dass Fuhr Mann längst mit der Planung des nächsten Projekts beschäftigt ist. Die Rache-Geschichte, an der sie* aktuell arbeitet, soll wieder ein Hybrid aus Dokumentar- und Spielfilm werden – und selbstverständlich einen queer-feministischen Blick auf das Patriarchat werfen.