Glänzende Aussichten für Florian Wellbrock in Tokio
In Kumamoto fühlt sich Florian Wellbrock beinahe ein bisschen wie zuhause. Schon vor der Schwimm-WM 2019 in Gwanju, Südkorea, bereitete sich das deutsche Team auf der im Südwesten Japans gelegenen Insel Kyushu vor. Trotzdem ist diesmal alles ein bisschen anders, das Hotel ist eine Blase, die Wellbrock und seine Schwimmkollegen nur für ihr tägliches Training verlassen können. „Wir gehen zehn Meter aus dem Hotel zum Bus und fahren dann zur Halle“, erzählte der 23 Jahre alte Bremer am Freitag bei einer Online-Pressekonferenz des Deutschen Schwimmverbandes.
Vor zwei Jahren konnte Wellbrock noch in ein nahegelegenes Einkaufszentrum gehen, um dort ein bisschen zu shoppen. All das ist diesmal wegen der Corona-Auflagen vor den Olympischen Spielen für Sportler untersagt. Und trotzdem will sich der deutsche Hoffnungsträger nicht beschweren: „Die Freundlichkeit der Japaner ist genauso groß wie 2019 und bei den Trainingsbedingungen müssen wir keinerlei Abstriche machen.“
Wellbrock wirkt selbst auf dem Bildschirm noch fokussiert und selbstbewusst. Dabei lastet auf ihm eine Menge Druck. Als erster Schwimmer hatte er vor zwei Jahren eine WM-Goldmedaille im Freiwasser (10 Kilometer) und im Becken (1500 Meter Freistil) gewinnen können. Es war der endgültige internationale Durchbruch für ihn, in Tokio hat er nun gute Aussichten, seine Erfolge von Gwanju zu wiederholen.
Im Deutschen Schwimm-Verband hoffen sie vor allem darauf, dass Wellbrock die 13 Jahre lange Flaute im Becken beendet. Seit 2008 gab es für deutsche Schwimmer hier keine olympische Medaille mehr. Wellbrock startet bei den Spielen über 400 (Finale am 25.7.), 800 (29.7.) und 1500 Meter Freistil (1.8.) und dazu im Freiwasser über 10 Kilometer (5.8.).
Die Bedingungen in Japan dürften gerade im Freiwasser extrem werden
Dass die Langstrecke diesmal den Abschluss für ihn bildet, kommt Wellbrock sogar entgegen: „Wäre es vorweg, würde es deutlich mehr Kraft ziehen als umgekehrt“, sagt er und nennt als Gründe die extremen klimatischen Bedingungen in Japan: „Hier sind morgens um halb acht schon knappe 30 Grad. Da macht man sich schon ein bisschen Sorgen, was das Freiwasser angeht.“ Die Wassertemperaturen im Meer werden höher sein als üblich. „Das wird für alle recht schwierig“, glaubt der Deutsche.
Noch geht Wellbrock mit Olympia und dem Drumherum recht nüchtern um. Das Kribbeln sei jetzt noch nicht so groß, sein Fokus liege auf dem Training. All das dürfte sich ändern, wenn er ins Olympische Dorf umzieht. Wobei auch dort wieder alles anders ist, als er es von seinen ersten Spielen in Rio 2016 her kennt.
Corona ist in Tokio immer präsent, das hatte er schon bei der Einreise gespürt und sogar das „Worst-Case-Szenario“ durchgespielt: „Wenn da etwas gewesen wäre, hätten sie mich dann wieder nach Hause geschickt?“ Die Frage sei ihm bei der Ankunft durch den Kopf gegangen, inzwischen ist er mit dem deutschen Team seit einer Woche vor Ort und blendet das Thema so gut es geht aus: „Ich beschäftige mich gar nicht mit den Fallzahlen in Tokio, das würde mich nur belasten“, sagt er.
Es ist die große Herausforderung für alle Athleten bei Olympia, sich trotz der pandemiebedingten Maßnahmen in Japan voll auf den Sport zu konzentrieren. Dass bei den Wettkämpfen keine Zuschauer dabei sein dürfen, davon ging Wellbrock schon länger aus. In Rio war er vor fünf Jahren noch überwältigt von der Kulisse, diesmal wird es das komplette Gegenteil – zumindest im Becken.
Hinzu kommt ein weiterer Unterschied zu vorherigen Großereignissen, denn so richtig weiß niemand, wo er vor den Spielen steht. Wellbrock schwamm stark bei der deutschen Olympia-Qualifikation und konnte auch bei den Europameisterschaften überzeugen. Wie gut die Konkurrenten aus den USA, Asien oder Australien in Form sind, lässt sich wegen fehlender Wettkämpfe untereinander allerdings nur schwer einschätzen. Die Weltjahresbestenlisten lassen 2021 kaum Rückschlüsse zu, trotzdem verfolgt Wellbrock so gut es geht, wie anderswo geschwommen wird. „Ich bin ein Zahlenmensch und schaue oft in die Weltrangliste rein. Und die australischen Trials habe ich mir beispielsweise sogar live angeguckt“ – als zusätzlichen Anreiz für das Training, wie er sagt.
Wie es seinem vermeintlich größten Konkurrenten über die 1500 Meter und im Freiwasser geht, das ist im Moment allerdings komplett unklar. Der Italiener Gregorio Paltrinieri ist vor einigen Wochen am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt, hat aber nur leichte Symptome und kann trainieren. „Ich habe Genesungswünsche ausgerichtet, aber bewusst auf irgendwelche Nachfragen verzichtet, wie es ihm geht“, erzählt Wellbrock, der nachvollziehen kann, wie schwer es für einen Athleten ist, so kurz vor einem Topevent schwer zu erkranken.
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Seine Goldchancen würden bei einem Ausfall Paltrinieris natürlich noch einmal größer werden, aber letztlich will er sich davon nicht beeinflussen lassen. „Ich habe meine persönliche Erwartungshaltung. Mal schauen, wofür es am Ende reicht“, sagt er und betont gleichzeitig, dass die erzielten Zeiten gerade über die 1500 Meter diesmal nicht die wichtigste Rolle spielen: „Wenn ich unter Weltrekord schwimme, aber vier andere vor mir sind, wäre das nicht okay. Schließlich werden wir ja an Medaillen gemessen.“
Ein bisschen misst sich Florian Wellbrock daran auch selbst, er weiß, was er kann und welche Möglichkeiten sich ihm in Tokio bieten. Darauf ist seine ganze Konzentration gerichtet, sogar das Private wird dem bei Olympia untergeordnet. Mit Teamkollegin Sarah Köhler ist er verlobt, die beiden planen, demnächst zu heiraten. „Für mich ist es schön, eine Partnerin an der Seite zu haben. Ich bin aber in einer Trainingsphase, wo es nicht mehr so entscheidend ist“, sagt Wellbrock. Das Team stehe im Moment an erster Stelle, es sei „wie eine kleine Familie“. Mit Teamkollegin Sarah Köhler ist er verlobt
Auch deswegen fühlt er sich derzeit so gut und fast heimisch. Noch ein paar Tage, dann wird es für die deutschen Schwimmer ernst. Florian Wellbrock ist gut vorbereitet auf alles, was da kommt – auch auf einen Olympiasieg.