Feurige Jubiläumsfeier
Natürlich ist das Saisoneröffnungskonzert ausverkauft, und natürlich spricht Oberbürgermeister Mike Schubert herzliche Grußworte. Denn in den 20 Jahren ihres Bestehens ist die Kammerakademie Potsdam zum wichtigsten Kulturbotschafter der brandenburgischen Landeshauptstadt geworden. Dabei war ihre Gründung einst nur eine Notlösung.
Scheibchenweise hatte die Politik das örtliche Hans Otto Theater fast kaputtgespart. Erst wurde das Ballett entlassen, dann der Chor und die Opernsolisten. Schließlich beschlossen die Stadtverordneten auch noch die Auflösung der Brandenburgischen Philharmonie Potsdam. Und das, obwohl da bereits ein neuer Konzertsaal im Bau war.
Der junge französische Architekt Rudy Riciotti realisierte hinter der barocken Fassade seine erste bedeutende Arbeit, einen 725-Plätze-Saal mit lustigen Pril-Blumen auf den Sitzbezügen und einer Decke, die über dem Musikerpodium hochschießt wie eine Welle. Im August 2000 musste ohne Hausensemble eröffnet werden, erst ein Jahr später konnte die Kammerakademie Potsdam hier ihr Debüt geben. Und es gelang ihr tatsächlich, den Schmerz der örtlichen Klassikfans über die Abwicklung ihres Sinfonieorchesters zu lindern.
Stars beim Jubiläumskonzert
Der künstlerische Durchbruch kam dann 2011 mit der Verpflichtung von Antonello Manacorda. Der Italiener war selbst Geiger gewesen, bevor er sich fürs Dirigieren entschied, als Mitbegründer des Mahler Chamber Orchestra wusste er zudem um die Nöte eines frei finanzierten Projektensembles, das auch die Kammerakademie Potsdam bis heute ist.
Gemeinsam sind sie dann in die Spitzengruppe der deutschen Orchesterlandschaft vorgestoßen, haben mit Tourneen und beachtlichen CD-Einspielungen den ramponierten Ruf der Klassikkillerkapitale Potsdam repariert. Gleich zwei Stars treten beim Jubiläumskonzert auf: die Sopranistin Anna Prohaska, in dieser Saison auch artist in residence. Und der Pianist Kristian Bezuidenhout. Der 1979 in Südafrika geborene Australier hat sich Mozarts frühes Klavierkonzert Nr. 6 ausgesucht. Mit gewohnter Sensibilität und weichem Anschlag gestaltet er das Werk – und wird vom Orchester fast überrollt.
Denn die Potsdamer sind es gewohnt, unter Manacordas Leitung stets mit Verve und Nachdruck zu spielen. Hellwach und enorm vital klingen sie dadurch, keine Nebenstimme wird vernachlässigt, jedes Detail angeschärft. Die Rokoko-Atmosphäre, die Bezuidenhout mit der zarten Schlichtheit seiner Tongebung anstrebt, gerät folglich in starke Reibung mit dem, was Orchestermusiker „auf der Stuhlkante musizieren“ nennen.
Anna Prohaska kommt damit leichter zurecht. Denn sie hat selbst ein vulkanisches Temperament. Es bremst sie auch nicht aus, dass sie zunächst hinter dem Flügel platziert ist, weil in Mozarts „Ch’io mi scordi di te“ ein obligater Klavierpart vorgeschrieben ist (den Bezuidenhout übernimmt), bevor sie in Haydns „Berenice, che fai“ dann frei auf der Bühne steht: Diese Sängerin ist auch ohne Inszenierung eine packende Darstellerin. Die beiden Konzertarien formt sie zu wahren Mini-Tragödien, man braucht den italienischen Originaltext nicht zu verstehen, um sofort zu begreifen, um dass es hier um existenzielle Seelenstürme geht.
Stürmische Schumann-Sinfonie
Wie sehr sich auch Manacorda als Radikalrhetoriker versteht, wird in Schumanns 2. Sinfonie deutlich. Im Gespräch ist der gebürtige Turiner ein norditalienischer Intellektueller, als Interpret kann er sich in einen hitzigen Sizilianer verwandeln, mit theatralischer Gestik und Hang zum exaltierten Prononcieren. Inneres Brodeln ist schon in der langsamen Einleitung zu spüren. Erst kommt es zu Verpuffungen, dann strömt die Lava des Hauptthemas. Halsbrecherisch will Manacorda das Scherzo gespielt wissen, erst im langsamen Satz gibt er der Musik dann auch mal Raum zum Atmen – und den Holzbläsern Gelegenheit zu schönen Soli –, bevor er alle ins wirbelnde Jubilieren des Finales katapultiert. Die Potsdamer Kammerakademisten steigen voll ein auf diese tour de force, testen bereitwillig ihre Grenzen aus, demonstrieren lustvoll Kraft wie Leidenschaft. Aber das ist ja auch fast normal, wenn man gerade erst zwanzig geworden ist.