Die Sopranistin Karan Armstrong ist tot
Man hat sie „Diva der Moderne“ genannt, weil sie bei vielen Opernuraufführungen als Protagonistin auf der Bühne stand. Eigentlich aber war Karan Armstrong vor allem eine moderne Diva. Kein Primadonnenklischee traf auf die Amerikanerin zu, eine Produzentin schöner Töne, die es bevorzugt, während des Singens in möglichst prachtvollen Roben möglichst wenig szenische Aktion absolvieren zu müssen, wollte sie nie sein.
Im Gegenteil: Die 1941 im Bundesstaat Montana geborene Sopranistin war immer ebenso sehr Schauspielerin wie Sängerin, eine genuine Musiktheaterkünstlerin. Sie wollte sich die Rollen anverwandeln, sich ihren Figuren rückhaltlos hingeben. Und sie wusste mit diesem Ganzkörpereinsatz das Publikum zu faszinieren.
Zunächst hatte Karan Armstrong eine Karriere als Pianistin ins Auge gefasst, 1963 machte sie ihren Bachelor of Music und studierte dann doch Gesang, bei der legendären Lotte Lehmann. Ihr erstes Engagement bekam sie 1965 in San Francisco, als Musetta in Puccinis „La Bohème“. Die Türen der Metropolitan Opera in New York öffneten sich ihr, nachdem sie einen Gesangswettbewerb des Hauses gewonnen hatte. Häufig wurde sie zudem an der New York City Opera engagiert.
Ihre “Salome” erregt Aufsehen
In Europa debütierte Karan Armstrong dann 1974, in Strasbourg, als Michaela in „Carmen“. Im Jahr darauf folgte dort eine enorm intensive Salome-Interpretation, die ihr Einladungen an die großen Bühnen einbrachte. Zum Beispiel nach Berlin, an die Deutsche Oper, die dann ihre künstlerische Heimat werden sollte. Mehr als zwei Jahrzehnte hat sie das Profil des Hauses prägen können, nicht zuletzt auch, weil ihr Ehemann Götz Friedrich hier als Generalintendant wirkte.
Kennengelernt hatten sich der Regisseur und die Sopranistin 1978 bei einer Stuttgarter „Salome“, 1979 war Karan Armstrong dann in Bayreuth die Elsa in Friedrichs „Lohengrin“-Inszenierung. Die vom Künstler Günther Uecker ausgestattete Produktion wurde später auch als Video veröffentlicht.
Engagement fürs Zeitgenössische
Das Motto für seine West-Berliner Intendanz hatte sich Götz Friedrich beim Komponisten Alban Berg ausgeliehen: Er fordere vom modernen Operntheater, dass es die klassischen Werke aufführe, als seien sie moderne, und umgekehrt. In dieser Überzeugung wusste er Karan Armstrong stets auf seiner Seite. Einerseits vergegenwärtigte sie die Schlüsselpartien des Kernrepertoires, andererseits setzte sie sich dafür ein, Zeitgenössisches nachhaltig zu etablieren. 1982 schrieb Sybill Mahlke im Tagesspiegel über ihre Gestaltung der Titelrolle in Alban Bergs „Lulu“: „Was Karan Armstrong an Intensität in den Abend einbringt, die sich bei ihr mit einer außerordentlichen Körperbeherrschung verbindet, verdient Bewunderung.“
Zuletzt spielte sie eine pensionierte Diva
Kurz nach der Geburt ihres Sohnes Johannes 1984 sang Karan Armstrong die Mélisande in Debussys Meisterwerk, bei der Uraufführung „Jesu Hochzeit“ von Gottfried von Einem war sie dabei, bei Giuseppe Sinopolis „Lou Salomé“, Luciano Berios „Un re in ascolto“ und Siegfried Matthus’ „Desdemona und ihre Schwestern“.
Bis hin zu Wagners Brünnhilde reizte sie ihre Stimme aus, 2001, ein Jahr nach dem Tod Götz Friedrichs, verabschiedete sie sich von der Deutschen Oper, als Marschallin im „Rosenkavalier“. Sie wurde Professorin an der Universität der Künste, vermochte der Bühne aber doch nicht dauerhaft Adieu zu sagen. 2003 konnte Andreas Homoki sie überreden, in Janaceks „Jenufa“ an der Komischen Oper aufzutreten, 2015 war sie noch einmal an ihrem Stammhaus zu erleben, als Larina im „Eugen Onegin“, 2016 spielte sie eine pensionierte Primadonna in „Quartetto“ am Renaissance-Theater. Jetzt ist Karan Armstrong im Alter von 79 Jahren gestorben.