Curated By : Wien und das Neutrale
Bestellt waren sie nicht, die Damen in Spitzenblusen mit ihren auffallenden Hüten. Ebensowenig wie die Kutsche und das Filmteam, die sich in der Wiener Domgasse installiert hatten, und das pünktlich zur Eröffnung in der Galerie Nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder. Passend war die Kulisse der Dreharbeiten zur vierten Staffel der im Jahr 1909 spielenden Krimiserie sehr wohl.
Die von Roman Kurzmeyer kuratierte Ausstellung dreht sich um Identität, besonders die geschlechtliche, bei der Kleidung eine große Rolle spielt. Theoretischer Anker der Schau ist der historische Roman „The Crossdresser’s Secret“ des im letzten Jahr verstorbenen Schriftstellers und Theoretikers Brian O’Doherty, der die Lebensgeschichte eines transgeschlechtlichen Adligen zur Grundlage hat. In ihren großformatigen Siebdrucken auf Leinwand stellt Mia Sanchez monochrome Musterkollektionen fiktiver Outfits zusammen, während sich Gritli Faulhaber historische Frauenportraits anverwandelt.
Die Ausstellung ist Teil des Wiener Festivals Curated By, für das die 24 teilnehmenden Galerien eingeladenen Kuratoren Carte Blanche geben. Die 15. Ausgabe verschreibt sich der Auseinandersetzung mit dem Begriff „the Neutral“, mit dem der französische Philosoph Roland Barthes ein Konzept beschreibt, das er dem binären westlichen Denken entgegenstellt.
Viel Text, aber keine Bebilderung von Kunsttheorie
Zum Thema hat der Kurator und Autor Maximilian Geymüller ein Impulsessay verfasst, das wie der Barthessche Begriff als Anregung dienen soll. Einige der eingeladenen Kuratoren begleiten ihre Ausstellungen ebenfalls mit Texten, die sich wiederum auf den Franzosen berufen, ohne dass die einzelnen Ausstellungen zur Bebilderung von Kunsttheorie geraten.
Weites Panorama bei Verena Formanek
Explizit bezieht sich etwa die Kuratorin Verena Formanek mit ihrer Ausstellung „Where to now“ mit Künstlern aus dem Mittleren Osten bei Krinzinger Schottenfeld auf Barthes. Allerdings gelingt es ihr, aus den zehn Positionen, die um die Themen Orientierung, Verschleierung und Identität kreisen, ein weites Panorama zu spannen, in dem auch Poesie ihren Platz hat, etwa in der hypnotischen Videoarbeit „From March to April…2020“ von Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian, bei der die Kamera über einen mit Mal- und Büroutensilien sowie äußerst appetitlichen Speisen übervoll bedeckten Tisch fährt, während eine Stimme aus dem Off die Wochentage wie in einer Litanei aufsagt und einige Aquarelle plötzlich zum Leben erweckt werden und kurz durchs Bild tanzen.
Eher lose orientiert sich Cathrin Mayers Kuration bei Georg Kargl, indem sie mit „Comizi d’Amore“ („Gastmahl der Liebe“ von Pier Paolo Pasolini, 1963) tief in die über dreißigjährige Geschichte der Galerie eintaucht und damit auch in die der Kunstszene Wiens. Nebenan bei der Christine König Galerie nutzt Agnieszka Pindera die traditionell starke Verbindung zu Osteuropa, um acht Künstler in den vier Kapiteln „Spuren“, „Wahrnehmungen“, „Hyperrealität“ und „Wechselwirkung“ kulturellen Codes nachzuspüren.
Scheinbare Neutralität
Ein formal gewagtes Experiment wagt Rapahael Oberhuber von der Berliner Galerie KOW, wenn er bei Gabriele Senn jedem der 24 gezeigten Kunstwerke „1 x 1 x 1 meter“ zubilligt. Das Konzept schließt nicht nur Großformate aus, es gewährleistet auch nur scheinbar Neutralität, da hier etwa eine Videoarbeit von Heinrich Dunst gegen ein Aquarell von Ernst Caramelle oder eine Pilzskulptur von Cosima von Bonin wie in einem Fernsehduell gegeneinander antreten und bestehen müssen.
Mehr um einen Dialog unterschiedlicher Positionen geht es in der „Passage to Promise“, mit der Kirstin zu Hohenlohe vier Künstler aus dem südlichen Afrika bei dem Ex-Berliner Gregor Podnar zusammenbringt, der seine Galerie in Wien erst vor knapp einem Jahr eröffnet hat.
Nicht nur Positionen der bildenden Kunst vereint Kurator Nick Irvin bei Layr, indem er unter dem Titel „Dowsing“ so unterschiedliche Kreative wie die 2016 jung verstorbene US-Amerikanerin Julie Becker, den 2021 gestorbenen jamaikanischen Musiker Lee „Scratch“ Perry, den gerade zu einer späten Markt- und Ausstellungskarriere ansetzenden Kölner Matthias Groebel oder den 1990 geborenen New Yorker SoiL Thornton vereint.
Der Zuspruch zu den Vernissagen hat sicherlich von der zeitgleich abgehaltenen Messe Viennacontemporary profitiert, die zum zweiten und letzten Mal im zentral gelegenen, aber recht beengten Kursalon Hübner mit 60 Teilnehmern stattgefunden hat. Die Wiener Galerienszene hat sich fast geschlossen zu der Veranstaltung bekannt, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war.
Ab nächstem Jahr hat die VC mit rund 100 Ausstellern eine neue alte Heimat auf dem Messegelände. Für die junge Konkurrenz Spark Art Fair ist nach dem Ausfall in diesem Jahr eine Fortsetzung geplant. Ob der Marktptlatz Wien neben Curated By noch ausreichend internationale Anziehungskraft für zwei Messen hat, ist allerdings zweifelhaft. Und im eigenen Saft gekocht hat die Szene schon zu lange.
Umso erfreulicher ist der Dialog, der sich inzwischen zwischen den jeweiligen Kuratoren, Künstlern und Sammlern im Zusammenspiel zwischen Galerienfestival und Messe etabliert hat.