Tim Staffels Roman „Südstern“: Big in Berlin tonight
Man könnte nach der Lektüre des Romans „Südstern“ auf den Gedanken kommen, dass sein Autor Tim Staffel einfach dort weitergemacht hat, wo er Ende der neunziger Jahre mit seinem Debüt „Terrordrom“ begonnen und aufgehört hatte. Wieder Berlin, wieder ein Berlin-Roman, wieder viel Wiedererkennungswert und Gegenwart, nur weniger Kaputtness.
Autor von „Terrordrom“
In „Terrordrom“ erzählte Staffel, wie in der Mitte Berlins ein Sperrbezirk errichtet wird, mit Mauern und allem Drum und Dran, in dem alle Menschen ihren Gewaltfantasien nachgehen und sich gegenseitig umbringen können, ein Terrordrom eben.
Apokalypse now, Endzeitvision. Ein Vierteljahrhundert später gibt es Berlin immer noch, es geht zuweilen auch ganz manierlich zu, aber vielerorts ist das Leben in der Stadt nicht unbedingt leichter geworden.
„Südstern“ erzählt in seinem Kern eine Liebesgeschichte zwischen einer Drogenkurierin und einem Polizisten. Vor allem aber erzählt es von einem Kreuzberg, vom früheren Kreuzberg, SO 36, um genau zu sein (der „Südstern“ ist da übrigens nur eine Chiffre, denn der Platz gehörte nicht zu SO 36, er hatte die Postleitzahl 61). Kurzum: von einem Bezirk, in dem es für viele Menschen nicht gerade optimal läuft, die hier oft zufällig gelandet sind und sich abstrampeln.
So heißt es schon früh: „Wir wollen durch den Görlitzer Park, ich vermisse die Rufe der Ziegen und Schafe aus dem Streichelzoo. Alle Tiere sind verschwunden, suchen irgendwo Asyl. Im Park suchen Dealer nach Schatten, ihre bunten Hemden und T-Shirts leuchten wie Fahnen zwischen den Bäumen.“
Oder: „Am Kottbusser Tor wohnen sie unter der Hochbahn, heute haben sie Gäste, die hängen Transparente auf und halten Schilder hoch“. Oder: „In der Reichenberger halten zwei Uniformierte in Schusswesten eine alte Dame fest, einer hält sie rechts, der andere links, die Dame zittert und mit ihr ihr Hund, ein Rehpinscher, der an einer Leine hängt“.
Tim Staffels Gewährsleute sind seine beiden Helden Deniz Aziz und Vanessa Paschke, sie erzählen hier im steten Wechsel aus der Ich-Perspektive, was ihr Leben so ausmacht. Vanessa bezeichnet sich als „Engel“, und in der James-Ellroy-Haftigkeit des Romans ist da einiges dran: Sie arbeitet in einer Kreuzberger Bar und fährt für eine Apotheke Medikamente aus. Richtig Geld jedoch verdient sie als Drogenausfahrerin. Ein Doppelleben, das seine besondere Note dadurch bekommt, dass ihr Freund Olli Politiker und ausgerechnet der Drogenbeauftragte seiner Partei ist.
Deniz wiederum ist Streifenpolizist im Abschnitt 52, Kreuzberg Süd, Bürknerstraße, Kottbuser Tor, Wrangelkiez etc, und unterwegs ist er mit einer kroatischstämmigen Kollegin Jovanna: „Sie hat kein Problem damit, dass ich Türke bin, behauptet sie. (…) Frau Coric will mit mir nicht über Religion sprechen. Was für ein Glück.“ Deniz hat keine Freundin und wohnt zusammen mit seinem Vater, einem Deutschen, in der Taborstraße. Der Vater ist wegen einer Parkinson-Erkrankung pflegebedürftig.
Tempo und Rhythmus
Staffel erzählt, wie Deniz und Jovanna sich kennenlernen, und nach und nach gruppieren sich die verschiedensten Nebenfiguren um sie: der unter einem postraumatischen Belastungssyndrom leidende Bruder von Vanessa beispielsweise oder der Sushi-Macciato-Betreiber Fish und sein Sohn Puma, Oma Zuppe oder Tobi, ein Arzt aus dem Urban-Krankenhaus.
Druck und Drogen
Staffels Roman, der auf einem Hörpsiel basiert, das er 2019 für den RBB geschrieben hat, wirkt sehr authentisch, hat Tempo und einen gleichbleibenden Rhythmus. Subjekt, Objekt, Prädikat prägen den Stil dieses durchweg im Präsens gehaltenen Erzählung, wenig Nebensätze, geschweige denn verschlungene Satzkonstruktionen. Vierviertel, Bummbumm, wenn man so will. Staffel hält diesen Sound, bei aller Liebe zum Detail und trotz mancher Synkope konsequent bis zum Ende durch.
Alles drin in diesem Roman: Druck und Drogen, Liebe und ein klein wenig Romantik, gerade bei den Dialogen zwischen Vanessa und Deniz, Berlin, insbesondere Kreuzberg im Würgegriff von Gentrifizierung und Tourismusboom, dazu ein neues, multikulturelles Kleinbürgertum, das dem standzuhalten versucht.
Nach Thorsten Nagelschmidt mit „Arbeit“, einer multiperspektivischen Geschichte aus dem Dienstleistungs- und Niedriglohnsektor der Stadt, hat auch Tim Staffel nach einer längeren Schaffenspause Berlin wieder auf die Literatur-Agenda gesetzt. Mehr noch als eine Liebesgeschichte ist „Südstern“ ein Berlin-Roman, dessen Hauptfigur die Stadt selbst ist, die das Leben der Figuren durchdringt. Tolles Comeback.