Joyce DiDonato in Berlin: Ihr Stimme macht die Welt ein wenig besser
Die DiDonato war wieder in der Stadt. Am Freitag trat sie erstmalig auf in der Staatsoper Unter den Linden, ein „amazing theatre“, wie sie zur Begrüßung gut gelaunt erklärt. Ihre Fangemeinde quittiert das Kompliment mit einem Sonderapplaus. Erst mal nett sein miteinander, das ist die amerikanische, keineswegs die Berliner Lebensart. Das Recital, welches die Diva vorträgt, stellt dann freilich Ansprüche, es ist bis aufs I-Tüpfelchen durchdacht.
Typisch für Joyce DiDonato! Sie ist nicht nur eine der besten Mezzosopranistinnen der Welt. Sie hat auch den Ehrgeiz, mit ihrer Fülle des Wohllauts die Welt ein bisschen besser zu machen. Mal ging es ihr um den Klimawandel, mal um Krieg und Frieden. An diesem Abend geht es um das Bild der Frau: um erfundene Frauen, die als erotische Projektion dienen; um Frauen, die sich unterordnen und ihre Stimme verlieren.
Wiegenlied für das abgetriebene Kind
Herzstück ist der Liederzyklus „Into The Fire“, den der amerikanische Komponist Jake Heggie vor zehn Jahren für DiDonato geschrieben hat: sieben Lieder für Sopran und Streichquartett, inspiriert von den Skulpturen von Camille Claudel. Heggie, der seinen Ruhm der Oper „Dead Man Walking“ verdankt, komponiert effektvoll epigonal-tonale, durchaus vorhersehbare Theatermusik, die ganz von selbst über die Rampe kommt. DiDonato machte aus der Partie der Sister Helen ein Ereignis. Ähnlich verhält es auch diesmal.
Die Claudel tritt in den Liedern, die hier in einer Klavierfassung vorgetragen werden, selbst auf als lyrisches Subjekt. Es geht, bruchstückhaft, um ihre wilde Ehe mit Auguste Rodin und deren unseliges Ende. Allemal steht dabei eine ihrer Skulpturen im Fokus. Schade, dass keine im Programmheft abgebildet ist. Etwa der berühmte „Valse“ von 1889, eine hinreißend dynamische Bronzegruppe, der schräge Faltenwurf des langen Rockes der Frau scheint zu fliegen. Oder „The Gossips“ – die „Klatschbasen“ von 1885 oder die Büste eines etwa sechsjährigen Kindes: „La Petite Châtelaine“.
Heggie hat zu letzterem eine Art Wiegenlied erfunden, aus kurzen, einander umkreisenden Lamentophrasen. Da spricht die Bilderhauerin zu ihrem Kind, dass sie abgetrieben hat: „Hallo, meine Kleine“, oder: „Now I’m forever alone/With my children of stone.“ Oft sind die Verse, die Gene Scheer erfand, unfassbar kitschgrenzwertig. Heggies Vertonung hilft etwas darüber hinweg. Didonato indes, sie schafft es: Sie spinnt Kitsch zu Gold.
Sie könnte auch Quartalsabrechnungen singen
Sie könnte auch seitenweise Quartalsabrechnungen vorsingen, es würde jeden glücklich machen, der zuhört; verfügt über alle Nuancen der Farben und Affekte; hat ein einmalig schönes Timbre, eine leicht erreichte Höhe. Rein gesangstechnisch ist sie unschlagbar. Ihr cremeweiches Legato, ihre zärtlich platzierten Portamenti und das verlöschende dreifache Piano, etwa auf dem Wort „stone“: Das sind Finessen, die hochfliegen bis in den zweiten Rang.
Noch berückender wirkt das im Restprogramm: den fünf sternklaren Liedern von Alma Mahler, der dunkelglühenden „Maja Dolorasa“ von Enrique Granados und, gleich zu Beginn, den meisterhaften „Chansons de Bilitis“ von Claude Debussy. Der hatte eine Kopie von Claudels „Walzertanzenden“ auf seinem Schreibtisch stehen, zeitlebens. So schließt sich der Kreis.
Das Publikum erhob sich wie ein Mann von den Plätzen. Selten wurde ein Liederabend, fast ausverkauft, so nachhaltig bejubelt. Sechs Zugaben mußten DiDonato und ihr Klavierpartner Craig Terry geben, von Carmens Habanera über eine Händelarie und Musicalsongs bis zu „Somewhere, over the Rainbow.“