Herausforderndes auf der Bühne, Diskussion hinter den Kulissen: Alles ist politisch
Ein knöchriges Wesen windet sich unbeholfen und scheint langsam aus einem Dämmerzustand zum Leben zu erwachen. Auf dem Kopf klebt ihm etwas, das aussieht wie ein Tintenfisch, dessen Tektakel der seltsamen Gestalt ins Gesicht hängen. Was der italienische Performance-Künstler Marco Donnarumma in seiner Show mit dem Titeal „Ex Silens“ im Radialsystem aufführt, wirkt ziemlich albtraumhaft.
Seine Bewegungen erzeugen unterschiedliche Klänge, tieffrequente Brummgeräusche, die den akustischen Eindruck seiner Darbietung ganz gut mit dem visuellen in Einklang bringen. Er streckt und räkelt sich, bewegt sich bald unbeholfen durch das Auditorium – und man blickt irritiert auf diese glitschig glänzenden Tentakel, den völlig ausgemergelten Körper und kommt sich ein wenig vor wie in einem immersiven Horrorfilm.
Abseits der Norm
Der Auftritt Donnarummas ist einer der letzten Events des diesjährigen Musikfestivals Club Transmediale. Viele Besucher und Besucherinnen haben bereits mehr als eine Woche musikalischer Grenzerfahrung bei dieser insgesamt zehntägigen Veranstaltung hinter sich. Bekommen nun aber gegen Ende nochmal etwas nur schwer Verdauliches vorgesetzt. Auch die 25. Ausgabe des CTM bot wieder Stoff für Musikinteressierte, die nicht genug bekommen können von Klängen und Darbietungen wie der eben beschriebenen abseits der Norm.
Im Silent Green im Wedding etwa den Knirschkrach von Ben Frost, in der Gedächtniskirche die Orgel-Drones von Kali Malone. Und auf zig Partys in Clubs wie dem Berghain, dem Oxis und dem Revier Südost traten DJs und Live-Acts auf, die bewiesen, dass es sich nicht nur zu funktionalem Techno gut tanzen lässt. Sondern dass sich auch mit randständigen Spielarten wie Breakcore oder Oldschool-Acid der Dancefloor füllen lässt.
Im Ausnahmezustand
Im Grunde könnte man sagen, auch dieser CTM war wie eigentlich immer eine sehr gut besuchte Herausforderung der Sinne und damit letztlich business as usual. Dabei war er in Wahrheit aber ein CTM im absoluten Ausnahmezustand. Doch die Dramen, die ihn prägten, spielten sich dann doch weitgehend hinter den Kulissen ab.
Denn als Berlins Senator für Kultur, Joe Chialo, Ende Dezember letzten Jahres eine Klausel für den Berliner Kulturbetrieb aufsetzte, die mit öffentlichen Geldern geförderte Kulturveranstaltungen besser vor antisemitischen Umtrieben schützen sollte, führte das zu chaotischen Zuständen bei den Festivalmachern. Die Bewegung „Strike Germany“, bei der man immer noch nicht genau weiß, wer genau dahinter steht, rief, genau wie etwa die „Raver for Palestine“, dazu auf, den CTM zu boykottieren. Am Ende sagten 17 Acts ihre Auftritte bei dem Festival ab. Und dass sich diese Lücken nicht großartig bemerkbar machten, liegt nur daran, dass die Veranstalter fieberhaft Ersatz für diese suchten und zum großen Teil auch fanden.
Zu welchem Politikum dieser CTM wurde, zeigte sich dann hauptsächlich auf Instagram-Kanälen von Artists, die abgesagt haben, sowie durch ein paar Stellungnahmen. Die britische DJ Jyoty etwa, eine der ersten, die ihre Absage öffentlich kundtat, gab in einem Interview an, nicht das Festival selbst boykottieren zu wollen, aber Deutschland. In einem Land, in dem man nicht mehr öffentlich alles sagen dürfe, was man gerne wolle und wo man als Künstlerin aufpassen müsse, auf der Bühne nichts Falsches zu tun, wolle sie nicht auftreten.
17 Bands sagen ab
Das Queerkollektiv Femme Decks richtete seine Kritik aber auch frontal in Richtung Festival. Dieses habe sich nicht pro-palästinensisch geäußert und nicht gesagt, in Zukunft auf öffentliche Gelder verzichten zu wollen und sich mit „Strike Germany“ zu solidarisieren, gab es via Instagram an. Das, was Femme Decks da von sich gibt, zeigt nur zu gut, wie verhärtet diese Boykottschlachten inzwischen ausgetragen werden. Und wie weltfremd da auch teilweise argumentiert wird. Ein Festival wie der CTM, der in zehn Tagen ein unglaublich vielfältiges und allein quantitativ überbordendes Programm mit lauter Acts weitab vom Mainstream anbietet, könnte es schließlich ohne eine ordentliche Förderung nicht einmal in Ansätzen geben.
Wie aufgeregt und wenig sachlich auf Deutschland und sein Ringen im Kultursektor gegen Antisemitismus geblickt wird, zeigt dann zumindest ein Auftritt auf der Bühne im Rahmen des CTM selbst. Das Doom-Metal-Duo Divide and Dissolve gibt eines dieser Konzerte, die es so in Berlin immer nur beim CTM gibt. Es ist weit nach Mitternacht und zwei Frauen bringen einfach nur mit Gitarre und Schlagzeug das Berghain zum Erzittern. Unerbittlich stoisches Metal-Drumming trifft auf unbarmherzige Gitarrenriffs direkt aus der Hölle. Dargeboten von zwei Frauen, die in Australien leben und auf indigene Wurzeln verweisen können. Die Band ist hochpolitisch und verkauft T-Shirts, auf denen nicht der Bandname abgedruckt ist, sondern nur die Aufforderung, weißen Suprematismus zu beenden.
Kurz vor Ende des Gigs stellt sich Takiaya Reed, die Gitarristin und der Kopf der Band, mit einer Kufiya um den Hals und vor einer auf eine Leinwand projizierten wehenden palästinensischen Flagge vor das Mikrophon und hält eine lange Rede. Ganz ruhig spricht sie erst davon, dass man hier in Berlin ja nicht mehr über gewisse Dinge reden könne. Sie wird dann immer spezifischer und fordert „Palestine must be free“. Dann sagt sie, dass sie schon des öfteren in Berlin gewesen sei und jedes Mal sei ihr dabei gesagt worden, bestimmte Dinge besser nicht anzusprechen.
Man wüsste an dieser Stelle nur zu gerne, was sie genau damit meint, sie bleibt hier jedoch im Ungefähren. Sie tut ganz so, als sei der McCarthyismus, den es laut „Strike Germany“ inzwischen in Deutschland gebe, längst ein gegebener Zustand. Man fragt sich, ob sie selbst glaubt, dass sie mit ihrer dargebotenen Solidarität mit der palästinensischen Sache etwas völlig Unerhörtes von sich geben würde in einem Land der Unfreiheit. Nach ihrer Rede gibt es einigen Beifall und die Fahne im Hintergrund weht einfach weiter.