Boykottaufrufe und Petitionen: Droht Israel der Ausschluss vom ESC?

Israels Teilnahme am diesjährigen Eurovision Song Contest im Mai im schwedischen Malmö ist umstritten. In Island, Irland, Finnland und zuletzt auch in Schweden organisiert sich Widerstand – teilweise durch Petitionen, die einen Boykott oder Ausschluss fordern, teilweise durch offene Briefe, dem sich zum Beispiel in Schweden mehr als 1000 Künstlerinnen und Künstler angeschlossen haben. In der Kritik steht Israels Kampf gegen die Hamas im Gaza-Streifen, bei dem bislang mehr als 25.000 Menschen ums Leben kamen.

Die Europäische Rundfunk-Union, Organisator des ESC, will bisher von einem Ausschluss Israels nichts wissen. Doch der Druck wächst. Wir haben drei Experten nach einer Einschätzung der Lage gefragt. Alle Folgen unserer Serie 3 auf 1 finden sie hier.


Egal wie viele Boykott-Aufrufe oder gar Absagen noch folgen: Israel wird beim ESC in Malmö dabei sein, denn die ausrichtende European Broadcasting Union (EBU) hat das Land zugelassen, das seit 50 Jahren an dem Wettbewerb teilnimmt. Eine nachträgliche Korrektur dieser Entscheidung steht nicht zu erwarten, selbst dann nicht, wenn ein oder zwei Teilnehmerländer sich tatsächlich aus Protest zurückziehen sollten.

Denn was wäre dann die Botschaft der EBU: Singt nicht mit Juden? Nein, so weit wird es nicht kommen. Und Israel wird auch nicht von sich aus auf einen Start verzichten. Allerdings kann sich, wer auch immer den derzeit laufenden israelischen Vorentscheid gewinnt, auf eine harte Zeit in Schweden gefasst machen, wo gerade über tausend Musikerinnen und Musiker den Ausschluss Israels gefordert haben. Bei der Show sind Anfeindungen, Pfiffe und niedrige Punktzahlen zu erwarten, das Ausscheiden im Halbfinale ist wahrscheinlich. All das wird die für Israel startende Person ertragen müssen.


Den eigenen Regeln nach darf der ESC nicht politisiert oder in Verruf gebracht werden. Auf dieser Grundlage wurden Weißrussland und Russland in den letzten Jahren im Kontext der internationalen Sanktionen gegen sie vom Wettbewerb ausgeschlossen. Der erste und einzige andere Staat, der zuvor jemals ausgeschlossen wurde, war Rest-Jugoslawien (Serbien und Montenegro), nachdem 1992 wegen der Rolle in den Kriegen in Bosnien-Herzegowina und Kroatien internationale Sanktionen gegen das Land verhängt wurden.

Das ist der große Unterschied im Fall Israel: Es gibt keine Sanktionen gegen Israel, die von den am ESC teilnehmenden Ländern verhängt wurden. Die nationalen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die diese Länder beim Wettbewerb vertreten, haben also kein politisches Mandat, Israel auszuschließen. Dies ist ein Grund, warum die Kampagne zum Boykott des ESC 2019 in Tel Aviv scheiterte. Und wenn einzelne Teilnehmer dieses Jahr den ESC aufgrund der israelischen Teilnahme boykottieren, werden sie wahrscheinlich durch andere Künstler ersetzt.


Island, Irland, Finnland, Schweden – die Zahl der Länder, in denen sich Widerstand gegen die Teilnahme Israels am ESC organisiert, wächst. Doch das ist weniger eine Gefahr für die Teilnahme Israels als für die EBU und den Contest selbst. Bisher setzte die Rundfunk-Union ganz auf die vereinende Kraft der Musik und die Spannung des Wettbewerbs. Doch nun zeigt sich, dass der ESC natürlich nicht im luftleeren Raum existiert. Stärkere Polarisierung, politische Aufladung des Alltags und Abgrenzungen, die wir in der Gesellschaft erleben, beeinflussen den ESC.

Die EBU muss deshalb aufpassen, dass der Contest nicht zerbröckelt, indem er als Plattform für politische Statements einzelner Gruppen, Länder und Organisationen missbraucht wird. Ein Ausschluss Israels wäre genau das. Der ESC steht für universelle Werte wie Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit – die EBU muss einen Weg finden, all dies auch weiterhin glaubwürdig zu vermitteln, ohne zuzulassen, dass der Wettbewerb in politische Grabenkämpfe hineingezogen wird.