Hannah-Arendt-Lesung im Hamburger Bahnhof: Hass-Proteste kann man nicht moderieren

Wenn es noch einen Beweis dafür gebraucht hat, dass Kunst politisch wirken kann, dann ist er jetzt erbracht. Ob sie etwas bewirken kann, ist nochmal eine andere Frage.

Die 100-Stunden-Hannah-Arendt Lesung, die die kubanische Künstlerin Tania Bruguera ab Mittwochabend im Museum für Gegenwartskunst Hamburger Bahnhof initiiert hatte, war am Samstagmittag und -abend von einer pro-palästinensischen Gruppe gestört worden. Die Beteiligten brüllten antisemitische Parolen wie „From the River to the Sea Palastine will be free“, sie schleuderten mit Begriffen wie Genozid herum und brüllen einzelne Personen mit „Schäme dich“ zu.

Dass die Künstlerin, die Lesung zu Arendts Totalitarismus-Analyse am Sonntagmorgen abbrach, war insofern gerechtfertigt, als die Sicherheit, grade jüdischen Beteiligter, auf dem Spiel stand. Andererseits war so eine Konfrontation fast zu erwarten. Und auch, dass dann ein Diskurs schwierig herzustellen sein würde.

Die Aktivisten, die am Samstag auftraten, waren an einem Dialog nicht interessiert. Sie zwangen allen Anwesenden ihre Schwarz-Weiß-Logik auf: entweder auf Seiten „der Palästinenser“ oder auf Seiten der „Zionisten“, die „palästinensische Kinder und Zivilisten töten“.

Die Gruppe beklagte auch, dass es in deutschen Kulturinstitutionen zu wenig Raum für palästinensische Stimmen gebe. Vielleicht trifft das zu. Allerdings war die Gruppe selbst wohl zur Lesung angemeldet und hatte somit Raum für ihre Position. Dass sie ihn nur für Diffamierungen nutzte, hat den Palästinensern keinen Dienst erwiesen. Wer kann da zuhören?

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Brugueras Anliegen war es, mit der Dauer-Lesung einen politischen Raum zu schaffen, im Sinne Hannah Arendts einen Raum, in dem unterschiedliche Meinungen gehört werden. Vor der Performance äußerte die Künstlerin die Hoffnung, dass die Aktion die politische Stimmung im Land abbilden könnte. Genau das ist passiert. Wenn es um Israel und Palästina geht, stehen die Zeichen in Deutschland auf Hass. Das hat man nun gesehen, das wusste man allerdings schon davor.

Es ist richtig, dass der Hamburger Bahnhof, sein Haus für politische Debatten öffnet und er sollte es weiterhin tun. Allerdings fehlen komplett die Rezepte dafür, wie mit Eskalationen umzugehen ist – nicht nur in dieser Kulturinstitution. Eine einzelne Künstlerin, selbst mit Unterstützung von Direktorium und Freunden, ist damit naturgemäß überfordert.

Die Direktoren des Hamburger Bahnhofs Sam Bardaouil und Till Fellrath blieben bei ihrer Beschreibung der Attacken auf ihren Social-Media-Kanälen sehr allgemein, es war von Hass die Rede, von einer „politischen Gruppe“. Dafür wurden sie in den Kommentaren vielfach kritisiert. Auch auf Nachfrage belassen sie es bei „Beschimpfungen und Verbalattacken gegen Individuen, die Institution und den Staat“.

Inzwischen wurde die Kommentar-Funktion auf ihren Instagram-Kanälen deaktiviert. Man könne nicht mehr gewährleisten, dass in dem Kanal in einer sachlichen und respektvollen Weise kommuniziert werde, so die Museumsmacher. Was bleibt, sind verhärtete Fronten, Individuum gegen Individuum, Gruppe gegen Gruppe, kein Appell an die Politik. Ähnlich, wie es Hannah Arendt in ihren Werken beschreibt.