Ausstellung über das Reisen und Ankommen im HKW: Die Wege von Menschen, Farben und Formen
Lourenco da Silva Mendoncas Reisen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kommen zwar nicht in der Ausstellung vor, aber sie stehen doch Pate für das groß angelegte Projekt „Musafiri“ im Haus der Kulturen der Welt. Der Spross aus dem Königshaus von Ndongo (heute Angola) wurde nach einer Rebellion gegen die Portugiesen nach Brasilien verbannt und schließlich nach Lissabon, als sich auch in dem lateinamerikanischen Land antikolonialer Widerstand rührte.
Der Prinz machte sich von Portugal aus dann selbst auf den Weg weiter nach Rom, um 1684 Klage gegen den Vatikan einzureichen wegen Misshandlung der Sklaven. Er erzielte zumindest einen Teilerfolg, denn Papst Innozenz XI. zeigte sich beeindruckt und verdammte die Sklaverei, wenn auch ohne Konsequenzen.
Dem Prinzen von Ndongo aber gebührt die Anerkennung, dass er noch vor den europäischen Aufklärern gleiches Recht für alle Menschen forderte, egal welcher Hautfarbe oder Konfession. Erst vor drei Jahren widmete sich eine genauere Studie dem frühen Verfechter der „Menschenrechte“.

© Hanna Wiedemann/HKW
Genau darum geht es auch in der Ausstellung im Haus der Kulturen: den Zusammenhang von Reisen und Freiheit beziehungsweise Gleichberechtigung. In Zeiten von Flucht und Zwangsmigration droht beides verloren zu gehen. Der Untertitel des Ausstellungs- und Rechercheprojekts „Von Reisenden und Gästen“ verweist auf die Verschiebung des Status. Der in vielen Sprachen vorkommende Begriff „Musafiri“ umschreibt etwa im Türkischen und Rumänischen das Willkommensein.
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Als Haupttitel verrät er den Wunsch der Kuratoren, dass die Reisenden dieser Welt irgendwann einmal nur noch freiwillig unterwegs und überall willkommen sind, dass niemand mehr darüber entscheidet, wer dazugehört und wer nicht. Die Ausstellung erzählt jedoch an vierzig Stationen die vornehmlich traurigen anderen Geschichten.
Mal geschieht dies poetisch wie bei Ryan Villamael, der aus historischen Landkarten Blattwerk schneidet, das er büschelweise von der Decke hängen lässt. Der Sohn eines „overseas filipino worker“ nennt seine seit acht Jahren an vielen Orten weiter wuchernde Installation „Locus Amoenus“, als wäre es ein idyllischer Ort, der in Wirklichkeit jedoch die Zerrissenheit der Lebenszusammenhänge von Wanderarbeitern beschreibt.

© Courtesy Nádia Taquary/Foto: Marcio Lima
Mal fallen die Darstellungen drastisch aus wie bei Jimmy Ong, der in mehrfacher Ausfertigung einen Torso aus Stoff an dicken Stricken baumeln lässt. Die Erscheinung fällt ebenso ambivalent aus wie die dargestellte Figur, die einer historischen Statue nachempfunden ist. Dahinter verbirgt sich der britische Kolonialist Thomas Stamford Raffles, der in Singapur als Gründervater verehrt wird, in Indonesien dagegen Unrecht und Gewalt verkörpert.
Eine verdrängte Kunstform lebt wieder auf
Auch kulturelle Codes können migrieren. Ena da Silvas metergroße Banner im Foyer vom Haus der Kulturen zeigen Pfauen, Schlangen, Papageien, die symmetrisch in Bäumen Platz genommen haben. Auf den von ihr in jahrhundertealter Technik gebatikten Stoffen schweben Elefanten, bilden Fantasiepflanzen und Blüten Schnörkel und Spiralen. Die 2015 mit 88 Jahren verstorbene Sri-Lankerin belebte nicht nur eine durch Kolonialismus und Industrialisierung verdrängte Kunstform wieder neu, sondern gehörte zu den Mitbegründerinnen des tropischen Modernismus.
Aboubakar Fofana dagegen folgt der Spur einer Farbe, dem Indigoblau, das schon seine Großmutter als Heilerin einsetzte. Eigentlich verbinden sich im heutigen Mali mit Indigo finsterste Kapitel kolonialer Geschichte, die brutale Ausbeutung von Sklaven auf Plantagen, auf denen die Indigopflanze angebaut wurde. Bei Fofana dagegen repräsentieren die in verschiedenen Blautönen gefärbten Stoffe die verschiedenen Lebensphasen, sie verkörpern nur noch Schönheit.
Farben, Formen, Stoffe, künstlerische Techniken können auf Reisen gehen, ebenso Musik und Tanz. Eine ganze Ausstellungswand zieren Cover von Lambada-Platten, kleine Bildschirme dazwischen zeigen den Tanz. Carlos „Marilyn“ Monroy hat hier dem nach Brasilien eingewanderten bolivianischen Straßenmusiker Francisco Ocrossupa ein Museum eingerichtet. Unter seinem Namen „Chico Oliveira“, wie er sich in Brasilien nannte, kam der erste internationale Hit des Genres heraus, ohne dass er davon wusste. Seine Musik wurde zur Hymne der neuen Freiheit Brasiliens, er selbst hatte das Land längst wieder verlassen.