Moralische Entlastung: Karajan geht, Mozart kommt
Im schönen Aachen, wo die Blitzmerker zu Hause sind, hat man soeben entdeckt, dass Herbert von Karajan, in den Jahren 1935 bis 1942 Generalmusikdirektor des dortigen Theaters, eine politisch dubiose Figur ist. Der Opportunismus gegenüber dem NS-Regime, den ihm Biografen seit Jahrzehnten nachsagen, war höchstens in seinem Ausmaß und der Vielzahl der kleinen Manöver umstritten. Doch es brauchte offenbar einen Vortrag von Klaus Riehle an der städtischen Volkshochschule, um den öffentlichen Groll auf Karajan so zu entfachen, dass Elena Tzavara, seit dieser Spielzeit Intendantin in Aachen, sich bemüßigt fühlte, Hans Baiers Büste des Dirigenten aus dem Foyer ihres Hauses entfernen zu lassen. Riehles Buch „Herbert von Karajan – Neueste Forschungsergebnisse zu seiner NS-Vergangenheit und der Fall Ute Heuser“ (Ibera Verlag) liegt übrigens seit 2017 vor.
An Karajans Karrierismus gibt es nichts zu beschönigen, zu entschuldigen oder mit seinem musikalischen Genie zu verrechnen. Gegen die Abschiebung der Bronze ins Museum, wo sie, von den nötigen Informationen flankiert, blinder Idolatrie keinen Vorschub mehr leistet, spricht dennoch, dass man auf die Zwiespältigkeit von Karajans Erbe am Ort seines einstigen Wirkens hinweisen sollte. Wer ihn derart aus der Geschichte des Hauses ausschließt, betreibt einen Exorzismus, in dessen Folge das vermeintlich Ausgetriebene womöglich doppelt unliebsam wiederkehrt.
Wie anders soll man Karajans dunkle Ambiguität zu den Ambiguitäten von Richard Strauss, Wilhelm Furtwängler oder Hans Pfitzner ins Verhältnis setzen, als sie sich vor Augen zu führen? Steht sein Lavieren nicht prominent für die Abstufungen von Anpassung und Widerstand, innerer und äußerer Emigration, über die 1933 Klaus Mann mit Gottfried Benn stritt und nach dem Krieg Thomas Mann mit Wilhelm Furtwängler?
An die Stelle von Karajans Büste rückt jetzt übrigens der alte „Sauschwanz“ Mozart (Wolfgang Amadeus über Wolfgang Amadeus in den „Bäsle-Briefen“). Mit Aachen verbindet ihn lediglich, dass er dort 1763 als siebenjähriges Wunderkind in der geschäftstüchtigen Obhut seines Vaters Leopold mit der fünf Jahre älteren Schwester Nannerl auftrat. Wie heißt es im lokalen Öcher Platt? Me kann ouch met ene Riefkouch de Trapp öele – man kann’s auch übertreiben.