Ukrainisches Kriegstagebuch (179): Im Serge-Gainsbourg-Museum in Paris – und ein Auftritt in Hanau

12.11.23

„Ich wählte das Pseudonym Serge aus einer nostalgischen Verbundenheit zu Russland, die ich jedoch nie wirklich empfunden habe“, erklärte Serge Gainsbourg einmal in einem Interview. 

Auch wenn ich bedauerlicherweise kein Französisch spreche, zähle ich mich seit Jahrzehnten zu seinen begeisterten Fans. Am Dienstag bin ich für einen Tag in Paris, und der Besuch des Maison Gainsbourg in der Rue de Verneuil steht ganz oben auf meiner Liste.

Was wusste Gainsbourg über die Ukraine?

Die Führung durch das Haus, in dem der Maestro von 1969 bis zu seinem Tod 1991 lebte, war längst ausgebucht – stattdessen bekam ich ein Ticket für das Museum, das im September dieses Jahres parallel zu Gainsbourgs restauriertem Zuhause in derselben Straße eröffnet wurde. 

Den eingangs erwähnten Satz entdeckte ich in der Ausstellung, die Gainsbourgs Lebensgeschichte rekonstruiert – mit Hilfe der Dokumente aus dem Familienarchiv, den Schallplatten aus der umfangreichen Diskographie des Künstlers und den Objekten aus seiner Garderobe. Der Satz geht mir nicht aus dem Kopf. 

Serge kam zwar 1928 in Paris zur Welt. Sein Vater aber stammte aus Charkiw und seine Mutter von der Krim. Die beiden lernten sich in Odessa kennen und flohen im Jahr 1919 nach Frankreich. 

Was wusste Gainsbourg eigentlich über die Ukraine, frage ich mich auf dem Weg zum Museum für Jüdische Kunst und Geschichte (MAHJ). Dort nehme ich gemeinsam mit Luba Jurgenson, Lisa Vapne und Nikolay Karabinovych an einer Diskussion über jüdische Identitäten während des Krieges in der Ukraine teil. Die Veranstalter*innen haben für Nikolay und mich französisch-ukrainische Dolmetscher eingeladen. Es wurde nicht im Voraus mit uns abgestimmt, da es heutzutage selbstverständlich ist, dass Personen aus Odessa und Charkiw die Staatssprache ihres Landes sprechen dürfen. 

Während der Diskussion habe ich den Eindruck, dass ich Dinge wiederhole, die ich in den letzten Jahren, besonders seit Februar 2022, bereits mehrmals gesagt habe. Dennoch scheint es genau das Richtige für diese Veranstaltung zu sein. Auf die fast schon obligatorische Frage aus dem Publikum, ob man zwischen Putin und dem russischen Volk unterscheiden müsse, erinnere ich das Publikum an die grausamen Verbrechen, die in der Ukraine gerade nicht durch Putin, sondern durch Tausende russische Soldaten begangen werden.

Am nächsten Tag begebe ich mich nach Hanau, wo ich abends im Kulturforum mein Buch „Richard Wagner und die Klezmerband“ vorstellen soll. Es wurde im Januar 2022 veröffentlicht, und seit dem 7. Oktober dieses Jahres habe ich immer häufiger das Gefühl, dass einige der behandelten Themen plötzlich sehr aktuell geworden sind.

Die Option Israel?

Während meiner Lesungen in den vergangenen Monaten präsentiere ich nicht nur Auszüge aus dem Buch, sondern auch Passagen aus meinen Kolumnen zu den Geschehnissen in der Ukraine.

Als ich fertig bin, sehe ich fünf Polizisten im Raum. Mich spricht ein äußerst höflicher Sicherheitsbeamter an und schlägt mit einem Lächeln vor, mich zum Hotel zu bringen. Ich sage nicht nein, frage aber auf dem Weg zum Auto, weshalb mir solche Ehre zuteil wird. Er lacht und erzählt, dass der Platz direkt vorm Kulturforum ein „Treffpunkt verschiedener Kulturen“ ist und es sicherer sei, wenn ich dort nicht allein auftauche. Die Polizisten begleiten uns bis zur Tiefgarage, von da bringt mich ein schicker Wagen zum Hotel. 

In meinem Zimmer im zweiten Stock kann ich nicht einschlafen und versuche, mich zu erinnern, welcher Künstler es während des Interviews für „Richard Wagner und die Klezmerband“ war, der mir sagte, er fühle sich derzeit in Deutschland sicher, doch falls sich die Situation ändern sollte, habe er immer die Option, nach Israel zu ziehen. Mir fällt jedoch gerade sein Name nicht ein.