Chinesische Architektur : Vorschläge für die neue Stadt

Vor noch gar nicht langer Zeit galten Industrieanlagen in China als Zeichen der geglückten „nachholenden Modernisierung“. Inzwischen sind sie obsolet geworden. Die Industrie ist auf dem Rückzug, aus den Metropolen ist sie verschwunden. Shanghai samt Schwesterstadt Pudong glänzen als Finanz- und Dienstleistungszentrum. Im Hintergrund von so manchen Fotografien, die die Projekte des in Shanghai ansässigen Architekturbüros Atelier Deshaus zeigen, ragen die Türme der Finanzbranche in den Himmel.

So auch bei den Aufnahmen vom „Kunstzentrum der 80.000-Tonnen-Silos“ am Fluss Huangpo. Die dreißig je 48 Meter hohen Zylinder wurden erst 1995 errichtet und nur zwei Jahrzehnte später schon nicht mehr benötigt. Liu Yichun, der gemeinsam mit Chen Yifeng im Jahr 2002 das Atelier Deshaus gegründet hat, ist nach Berlin gekommen, um in der Galerie Aedes die Ausstellung des Büros einzurichten. Es geht vor allem um die Projekte zur Nachnutzung industrieller Anlagen entlang des Flusses, dieser Lebensader Shanghais, aus der der Warenverkehr, wie überall auf der Welt, mehr und mehr in Richtung offenes Meer zurückgezogen wird.

Nachhaltigkeit ist bei Atelier Deshaus das oberste Gebot

Die Zylinder des Getreidesilos wurden jeweils auf der untersten und der obersten Ebene durchgängig aufgeschnitten und zu durchgehenden Ausstellungsräumen verbunden. Die Erschließung erfolgt an der dem Fluss zugewandten Außenseite über eine Rolltreppenanlage, die naturgemäß an das Vorbild des Pariser Centre Pompidou denken lässt. Und wie dort sind es die spektakulären Ausblicke, die dem Projekt einen zusätzlichen Reiz verleihen.

Atelier Deshaus ist bemüht, so wenig wie möglich an den vorgefundenen Industrieanlagen zu verändern oder gar abzureißen. So wurde die 90 Meter lange Betonplattform einer Kohleverladestation durch einen vorgeblendeten metallenen Laufsteg samt Überdachung zu einer Terrasse, von der aus die allmähliche Renaturierung des vorgelagerten Wassergrabens zu beobachten ist. Das West Bund Art Centre entstand in der 120 Meter langen, zweischiffigen Fabrikhalle. Die Architekten nahmen teils die Verstärkung der außen liegenden Stahlkonstruktion vor, teils die Verglasung der Stirnseiten. Die Einbauten im Inneren bleiben variabel und können jederzeit entfernt werden.

Insgesamt neun Projekte am Fluss Hunagpo werden bei Aedes in Fotografien und wunderbar detaillierten Modellen vorgeführt. Hinzu kommen einige Projekte in der Landschaft, herausragend ist das im vergangenen Jahr fertiggestellte, terrassenartige „Kloster“ in den Jinshan-Bergen. Ob hier oder am Fluss Huangpo geht es Atelier Deshaus um einen Ort der Besinnung, wie um das Ende des Industriezeitalters zu unterstreichen.