„Mall of Anonymous“ im Schinkel Pavillon : Shayne Olivers nicht ganz so kritische Konsumkritik
Zyniker könnten behaupten, dass sich das Museum vom Einkaufszentrum, englisch Mall, nur geringfügig unterscheidet: In beiden Institutionen werden Objekte ausgestellt, in beiden wird, auf die ein oder andere Art, konsumiert. Die aktuelle Ausstellung im Schinkel Pavillon spielt dieser Argumentation in die Karten: „Mall of Anonymous“ heißt sie und wurde vom Designer, Musiker und jetzt auch Künstler Shayne Oliver konzipiert.
Als Mitbegründer und kreativer Mittelpunkt des Modekollektivs „Hood by Air“, kurz HBA, und Erfinder einer laufstegtauglichen Streetwear, war Oliver bisher eher einem Modepublikum bekannt. Mit der Ankündigung seiner Ausstellung im Schinkel Pavillon im Juni stieg er bei „Hood by Air“ allerdings aus.
Gleichzeitig ließ er durchblicken, dass „Mall of Anonymous“ nicht nur seine Eintrittkarte in die Kunstwelt, sondern auch Geburtsstunde dreier neuer Modelabels sein würde, die in der „Shayne Oliver Group“ zusammengefasst sind.
Die Mall ist Konsumtempel und Begegnungsstätte
So hat er es nun auch umgesetzt. Der Schinkel Pavillon unterscheidet sich dieser Tage kaum von einem modern gestalteten Einkaufszentrum. Und „Mall of Anonymous“ ist eine raffiniert inszenierte Werbeveranstaltung. Daraus macht Oliver auch kein Geheimnis. Viele der ausgestellten Objekte sind weithin sichtbar mit „Shayne Oliver Group“ gelabelt. Weil „Mall of Anonymous“ gleichzeitig aber auch Familientraumabewältigung und selbstreferenzielle Kritik ist, entzieht sich der Designer dem Vorwurf, den Kunstraum nur als prestigeträchtige Plattform zu nutzen
„Ich möchte meinen Namen als neutrale Plattform zur Verfügung stellen, und indem ich die Objekte mit meinem Namen labele, möchte ich unterstreichen, dass ich es bin, der gegen eine Konsumkultur argumentiert, in die er gezwungenermaßen hineingeboren wurde“, sagt Oliver bei einem Treffen in den Ausstellungsräumen. Er nutze seine eigene Marke, um Kritik zu üben.
Damit fasst er ganz gut zusammen, was er danach sehr ausführlich zu erklären versucht: Seine ambivalente Haltung gegenüber der „Mall“, als Ausdruck für den (amerikanischen) Konsumismus – dem krankhaften Drang, wirtschaftlich zu wachsen und zu kaufen.
Geboren als Konsument
Im Zentrum des ersten Ausstellungsraums, dem trotz Kaufhausbeleuchtung recht düsteren Erdgeschoss, steht auf einer rotierenden, verspiegelten Plattform eine schwarze, expressionistisch verformte Frauenfigur, die einer schreitenden Madonna gleich, einen Embryo trägt. Ein weiterer Spiegel spaltet die Skulptur in zwei Teile.
„Ich wollte ein Objekt kreieren, dass symbolisch meine Erfahrungen als amerikanischer Konsument und gleichzeitig die Beziehung zwischen mir und meiner Mutter repräsentiert“, beschreibt Oliver die Skulptur. Erst durch den Konsum habe er seine Mutter als Mensch wahrgenommen und gleichzeitig hätte ihre Konsumfokussierung die beiden entzweit.
Weitere Objekte, wie rotierende Umkleidekabinen, Embryonen, leere Kleiderstangen und Bauzäune, fügen sich mit der Frauenfigur zu einer immersiven Gesamtinstallation zusammen. Sie sollen einerseits die Trostlosigkeit des Konsumtempels unterstreichen, andererseits aber Olivers Wertschätzung der Idee hervorheben, dass die Mall auch als identitätsstiftende Begegnungsstätte funktioniert. „Die Menschen in Amerika vereint, dass sie als Individuen wahrgenommen werden wollen, dass sie zusammen individuell denken“, erklärt er. Passenderweise krönt, in der viel optimistischer gestalteten zweiten Etage des Pavillons, ein kreuzförmiges Taufbecken das anonyme Einkaufszentrum. Die Taufe als Symbol für kulturelle Eingliederung in die Gemeinschaft konsumorientiert Individuen.
Mode ist schwach im Diskurs
Auch die titelgebende Anonymität beziehe sich genau darauf: „Am Ende hat niemand eine Identität. Das Signalisieren von Identität endet letztendlich damit, dass man die Ideen der Gruppe verfolgt, der man angehören möchte“. Es sei gesünder, wenn die Menschen anonymer lebten und nicht ständig versuchten, eine individuelle Persönlichkeit zu inszenieren. Die Menschen seien zu beschäftigt damit, Identitäten für sich zu beanspruchen und würden dadurch das Wesentliche aus den Augen verlieren, so Oliver. Das algorithmisch arbeitende Internet würde das befeuern. Ironischerweise ist es auch das Internet, das dafür sorgt, dass die Mall vielerorts zum Relikt wird.
Oliver, der sich mangels Erfahrung selbst nicht Künstler nennen will, wünscht sich für sich und sein Unternehmen, Schnittstelle zwischen Mode, Kunst und Musik zu sein. „Etwas, bei dem die Idee allein Teil der Sprache ist, nicht immer unbedingt schön sein muss oder sofort als Look kommerzialisiert wird“. Die von Designern, die sich in der Kunst versuchen, häufig verwendete Floskel „Transdisziplinarität“ nutzt Oliver nicht. Man nimmt ihm die kritische Ehrfurcht ab, die er trotz langjähriger Tätigkeit immer noch vor seiner Designaufgabe zu haben scheint.
Die Mode sei sehr eingeschränkt darin, Dinge auszudrücken, Kritik würde schnell als Angriff aufgefasst, man werde „zum Feind Nummer eins“, das sei allerdings nicht seine Intention: Vielmehr wolle er eine Konversation führen, sagt Oliver und macht es sich damit ein bisschen einfach. Im Schinkel Pavillon fehlt ein Museums-Shop zur Ausstellung. Das wäre konsequent.