Ach wär’ ich doch bei Dorotka
Es war einmal ein junger Bauer, der genoss es, am Sonntag den Dorfbewohnern zum Tanz aufzuspielen. Ja, an der Komischen Oper wird jetzt tatsächlich ein tschechisches Musiktheater-Märchen gezeigt. Vielen Menschen erscheint es angesichts des Krieges in der Ukraine derzeit schal, ja unangemessen, überhaupt unterhaltende Theaterabende zu besuchen. Andere dagegen haben gerade jetzt das dringende Bedürfnis, den fatalen Nachrichten wenigstens für ein paar Stunden entfliehen zu können.
Das Premierenpublikum in der Komischen Oper jedenfalls nimmt am Samstag die Wiederbegegnung mit Jaromir Weinbergers einstigem Welterfolg „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ dankbar an. Das durch und durch eskapistische Stück aus dem Jahr 1927 hat allerdings auch einen doppelten Boden, wenn man die Lebensgeschichte des Komponisten mitdenkt.
Hunderte Bühnen wollten diese Oper spielen
1896 in Prag geboren, hatte Weinberger das Tonsetzer-Handwerk am Leipziger Konservatorium beim strengen Kontrapunkt-Großmeister Max Reger gelernt und war dann in die USA gegangen, wo er auf die Welt des Broadway traf. Beide Extreme – die Avantgarde der ernsten deutschen Kunstmusik und die amerikanische Unterhaltungsindustrie – vermochte er in seiner Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ zu versöhnen. Das in Prag uraufgeführte Stück wurde an hunderten Bühnen nachgespielt, 1931 auch an der Metropolitan Opera New York.
Wenige Jahre später aber musste Jaromir Weinberger erneut den Atlantik überqueren, diesmal als jüdischer Flüchtling aus Nazideutschland. Doch fand er in der Neuen Welt keinen künstlerischen Anschluss. 1967 nahm er sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.
Regisseur Andreas Homoki und sein Bühnenbildner Paul Zoller spielen auf die Hoffnungen der USA-Exilanten an, wenn sie in ihrer Inszenierung jetzt Menschen mit Koffern auf einem Ozeandampfer zeigen. Jedenfalls lässt sich in dem mit stilisierten Rettungsringen ausgestatteten Treppenturm, der im zweiten Bild die Szene dominiert, auch eine Schiffsreling erkennen.
Weitere Bezüge zu Weinbergers Biografie oder zur Zeitgeschichte aber gibt es nicht, Homoki, der vor Barrie Kosky Intendant der Komischen Oper war, bleibt märchenhaft in seiner Inszenierung, deutet die Handlung als Reise des Titelhelden zu sich selbst. Eigentlich lebt Schwanda zufrieden in ländlicher Idylle mit seiner Dorotka. Vom windigen Babinsky aber – der sich als Räuber in der Tradition Robin Hoods sieht, doch eher eine mephistophelische Gestalt ist – lässt er sich in die Welt hinaus locken, verführt mit seinem Dudelsackspiel erst die herzlose Eiskönigin und dann den Teufel selbst. Am Schluss aber kehrt er, geläutert, zu seinem stillen Eheglück zurück.
Daniel Schmutzhard ist als Schwanda ein echter Sympathieträger
Homoki ist ein Meister des menschenfreundlichen Musiktheaters, er betrachtet seine Figuren mit liebevollem Blick, vermag ihre Geschichten so zu erzählen, dass sie auch dem Publikum ans Herz wachsen. Mit dem Bariton Daniel Schmutzhard hat er einen echten Sympathieträger als Protagonisten, kraftvoll im Spiel wie in der Stimme, ein springlebendiger Papageno-Typ, dem man gerne bei seinen abstrusen Abenteuern folgt.
Und auch der Babinsky ist mit dem Tenor Tilmann Unger treffsicher besetzt, ebenso wie der Teufel, den Philipp Meierhöfer als knuffigen, strubbelhaarigen Höllentrottel spielt. Kiandra Howarth schickt als Dorotka ihre Töne wie Leuchtkugeln in den Bühnenhimmel, Ursula Hesse von den Steinen zeigt angemessene Sopranschärfe als mondäne Königin. Und Otto Pichler hat für die um zehn Tänzerinnen erweiterten Chorsolisten der Komischen Oper wild-wirbelnde Massenchoreografien erdacht (weitere Aufführungen am 11., 19. und 26. März sowie am 1., 10. und 15. April).
Die Partitur bietet einen faszinierenden Stilmix
Die gut zehnminütige Ouvertüre lässt Andreas Homoki glücklicherweise uninszeniert, denn sie ist ein echtes Hinhörstück. Da werden nicht einfach nur die besten Melodien als Appetithappen zusammenmontiert, nein, hier funkelt ein Juwel sinfonischer Orchestrationskunst, auf Augenhöhe mit den Tondichtungen von Richard Strauss.
Schade nur, dass dieses tolle Vorspiel unter der Leitung des scheidenden Generalmusikdirektors Ainars Rubikis so klingt, als wäre es nicht wirklich zu Ende geprobt. Viele Details kommen kaum zur Geltung, wo es komplex zugeht, verschwimmen die Stimmen. Wie es besser geht, lässt sich auf der „Schwanda“-Einspielung der Staatskapelle Dresden mit Constantin Trinks nachhören.
Überhaupt scheint Weinbergers chamäleonhafter Musikstilmix Ainars Rubikis wenig zu sagen. Die quirligen, tschechisch-volkstümlichen Passagen geraten ihm oft zu laut und zu wuchtig, wenn es nach schmalzig-schmachtender Lehár- Operette klingt, fehlt ihm der Sinn für Eleganz und Augenzwinkern. Weil Rubikis nicht frei atmet, kann diese schillernde Partitur ihren Charme nicht voll entfalten. Wie schade.