Sound und Sinnlichkeit

Am vergangenen Dienstag wurde James Gaffigan als neuer Chefdirigent der Komischen Oper ab 2023 vorgestellt, und schon am Sonntag ergab sich die Gelegenheit, den 42-jährigen Amerikaner live in Berlin zu erleben. Allerdings nicht mit seinem künftigen Orchester und auch nicht als Musiktheatermaestro, sondern mit der Staatskapelle im Pierre Boulez Saal. Obwohl Barenboims Ensemble dort wegen der relativ kleinen Bühnenfläche nicht in gewohnt opulenter Besetzung auftreten kann, entfalten die Musikerinnen und Musiker sofort ihren charakteristischen, intensiven Klang, füllen den Raum mit Wärme und Leidenschaft.

Gaffigan genießt sichtlich diesen goldenen Sound und dirigiert mit weiten, freien Bewegungen. Es ist angenehm, ihm dabei zuzuschauen, er führt den Taktstock locker in der rechten Hand, die linke, die für den Ausdruck zuständig ist, setzt er ebenfalls viel ein. Sein ganzer Körper ist involviert, oft geradezu tänzerisch, so dass er zum Pantomimen seiner Interpretationen werden kann, viel sagend ohne Worte.

Ein Frühwerk von Leoš Janámek hat Gaffigan ausgesucht, den Zyklus „Idylle“ von 1876. Im Bestreben, ein Repertoire jenseits der dominierenden deutschen Musik aufzubauen, lässt er sich von traditioneller mährischer Folklore inspirieren. In den besten Momenten des Werks aber geht er übers Volkstümliche hinaus, schafft spätromantische Miniaturen von atmosphärischer Dichte, wie in der Nummer 5, die 1988 zum Soundtrack der Verfilmung von Milan Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ wurde.

Gaffigan mag es sinnlich

Noch viel raffinierter er der junge Janámek reizt Maurice Ravel die Klangfarbenpalette des Sinfonieorchesters in seiner „Ma mère l’oye“-Suite von 1911 aus. Das kann Dirigenten dazu verführen, ins Gekünstelte abzugleiten – James Gaffigan aber will es lieber sinnlich, animiert die Holzbläser zu prachtvollen Soli, lässt es exotisch schillern und glitzern, wenn es um die „Impératrice des Pagodes“ geht, und entdeckt im Dialog der Schönen mit dem Biest sogar Untertöne von Jazz und Blues, als träfen die beiden Märchenfiguren bei einem eleganten „thé dansan“ aufeinander.

Zwischen Janámek und Ravel fügt sich Péter Eötvös erstaunlich gut ein. Der 78-jährige Ungar, am Sonntag selbst anwesend im Boulez Saal und herzlich beklatscht, gibt sich in seinen Werken weder extra stachelig noch extrem verkopft, sondern schreibt eine zugängliche zeitgenössische Musik, mit handwerklicher Meisterschaft. In „Respond“ hat sich Yulia Deyneka, die wunderbare Solo-Bratscherin der Staatskapelle, im Dialog mit dem Orchester gegen einen übermächtigen Gesprächspartner zu behaupten. Sie tut das souverän, auch mal mit scharfem Bogenstrich, als starke Persönlichkeit, der rhetorisch so schnell keiner was vormacht. Frederik Hanssen