Schamanischer Techno: Premiere einer neuen Berliner Galerie mit Haroon Mirza
„Wir werfen jetzt unseren Hut hier in den Ring“, sagt Max Goelitz zur jüngsten Galerieneueröffnung in Berlin. Dabei ist Goelitz kein Neuling in dem Geschäft. Im März 2020, eine Woche vor dem ersten Corona-Toten in Deutschland, wagte er den Schritt in die Selbständigkeit mit der Übernahme der Münchner Galerie Häusler Contemporary, deren langjähriger Direktor er zuvor gewesen war.
In dieser Funktion hatte er 2011 auch die Land-Art-Legende James Turrell zur Biennale nach Venedig begleitet – und dessen Verstimmung über einen jungen Künstlerkollegen miterleben müssen. Die Soundinstallation eines gewissen Haroon Mirza verhinderte die Stille, von der Turrell meinte, dass sie zur Erfahrung seines, Turrells Werkes unabdingbar sei. Aber in einer Gruppenausstellung müssen selbst die Allergrößten schon einmal Abstriche machen: Turrell zog in der Auseinandersetzung den Kürzeren, trotz Goelitz‘ Unterstützung. Oder sollte die etwa nur halbherzig erfolgt sein?
Wie die Dinge liegen, heißt nämlich der Künstler, mit denen Goelitz seine Berliner Dependance eröffnet: Haroon Mirza. Der hat damals Eindruck auf Goelitz gemacht – und nicht nur auf ihn. Von jener 54. Biennale nahm der Sohn pakistanischer Einwanderer den Silbernen Löwen als vielversprechendster junger Künstler mit zurück in seine Geburtsstadt London. Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte. Es folgten Einzelausstellungen im New Yorker New Museum oder im Museum Tinguely in Basel; Erwerbungen durch die Institutionen MoMA und Guggenheim. Mirza wird international von der maximal renommierten Lisson Gallery vertreten.
Aber auch Max Goelitz hatte einen Kontakt geknüpft.
Goelitz investiert Zeit und Geld in Berlin
Das Handwerk eines Galeristen ist für ihn vor allem Networking. International hält er sich für sehr gut vernetzt – sieht seine Chancen („Ich glaub da total dran!“) aber vor allem auf dem deutschen Markt. Den hält er von den Global Playern für sträflich unterschätzt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien hierzulande schwierig, aber die deutschen Sammler die größte Fraktion auf den einschlägigen Messen. Nachdem die Galerie die Pandemie mit einer Expansion ins Virtuelle überstanden hatte, war die reale Expansion der nächste logische Schritt. Der Netzwerker hatte seine Fühler schon länger ausgestreckt. Jetzt ergab sich die Möglichkeit, die Kreuzberger Räume des nach Moabit weitergezogenen Alexander Levy zu übernehmen. Goelitz spürt in und schätzt an Berlin einen „anderen Vibe“ als in München – ein Standort im gediegenen Charlottenburg wäre für ihn deshalb nicht in Frage gekommen. Da wäre der Kontrast zum Mutterhaus in der Münchner Maximilianstraße zu gering ausgefallen.
„701“ nennt Goelitz seine Strategie für die beiden Orte: Sieben Mitarbeiter halten in München die Stellung – einer wurde nach Berlin entsandt. Der Chef selbst will künftig ein Drittel seiner Zeit in Berlin verbringen, wo zwei seiner Künstler.innen wohnen und arbeiten. Darunter die jüngste, die 1991 geborene Natacha Donzé, die die nächste Ausstellung im neuen Kreuzberger Domizil bestreiten wird. Los geht es aber erst mal mit: Haroon Mirza. Ein Vorzug der Berliner Räume sind ihre größeren (Aus-)Maße. Mirza weiß sie auszunutzen. In einem Nebenraum hängt (zu Preisen zwischen 54.000 und 130.000 Euro) „Flachware“ an den Wänden. Diese „Solar Circuits Compositions“ – bestehend aus mit Farbschlieren versehenen Solarpanelen und elektronischen Schaltkreisen – können auch schon mal auf 177 x 300 cm kommen. Das ist aber nichts gegen die Installation im Hauptraum.
Die einen mögen bei dem Begriff „Dyson-Sphäre“ an Staubsauger denken, die anderen möglicherweise an „Star Trek“. In der Erzählung des Sci-Fi-Franchises wird eine Dyson-Sphäre nämlich erstmals im Jahr 2294 entdeckt. Bis dahin – und also in unserer Gegenwart – existiert sie eigentlich nur als 1960 vom Physiker Freeman Dyson beschriebene hypothetische Megastruktur: eine zum Zwecke der Gewinnung erneuerbarer Energie von einer fortgeschrittenen Zivilisation um einen Stern gebaute Hülle. Der reale Wissenschaftler Dyson soll die Idee wiederum aus einem Roman – Olaf Stapledons „Star Maker“ (1937) – übernommen haben. In jedem Falle wäre so eine Struktur unvorstellbar groß (laut dem „Star Trek“-Androiden Data: 250 Millionen mal so groß wie ein Klasse-M-Planet) – zu groß selbst für Max Goelitz‘ neue Galerieräume.
Wer die Energie hat, verfügt auch über die Macht
Die Haroon Mirza für seine „Dyson Sphere“ also immerhin maximal ausgenutzt hat. Der Stern im Zentrum ist im Grunde nichts anderes als eine große, mit etlichen Halogenbirnen bestückte Hängeleuchte. Sie versorgt die sie oktogonal umschließenden Solarpanele mit genügend Energie, um damit wiederum den gesamten Rest der Installation zu elektrifizieren: zwei archaisch anmutende Trommeln; zu einem (Stein-)Kreis angeordnete, in künstliche Steine eingebaute Lautsprecher; blaue und rote Leuchtröhren, deren Leuchten das Wachstum von Kakteen beeinflusst, aus denen sich psychedelisch und halluzinogen wirksames Mescalin gewinnen lässt.
„Technoides trifft auf Schamanistisches“ – so bringt Max Goelitz die Kunst von Haroon Mirza auf den Punkt, der seine Ausstellung „energy/power“ betitelt hat: „Semantisch sind sie unterschiedlich, aber es gibt Überschneidungen zwischen Energy und Power: Man braucht Energie, um Strom und elektrische Signale zu haben. Zentral für mich ist, dass es sich um einen Kreislauf handelt: Es gibt immer ein Plus und ein Minus, die miteinander verbunden werden, um die Energie zu erzeugen. (…) Denn im gesamten Leben und im Universum kommt die ultimative Kraft nicht nur aus einer Quelle, sondern aus einer Kombination von zwei oder mehr Elementen. Philosophisch gesehen ist das interessant, weil es den Monotheismus negiert. Und politisch gesehen haben diejenigen, die Energie haben, auch Macht.“
Wie es uns in diesem Jahr deutlicher vor Augen geführt wurde, als uns lieb sein konnte. Es mag schon einmal vorkommen, dass Ausstellungsprojekte von der Realität überholt und damit obsolet werden. Es scheint aber auch den umgekehrten Fall zu geben. ( Galerie Max Goelitz. Rudi-Dutschke-Str. 26, bis 28. Januar)
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