Koreanische Gastarbeiter in Deutschland: Unsichtbare Beiträge und übersehene Geschichte
Vor 60 Jahren schloss die Bundesregierung ein Anwerbeabkommen mit Südkorea, das nicht nur wirtschaftliche Beziehungen, sondern auch menschlichen Austausch zwischen Deutschland und dem Land der Morgenstille begründete. Diese Vereinbarung schickte in den 1960er Jahren rund 20.000 Bergleute und Krankenschwestern nach Deutschland – ein menschliches Band, das das Wachstum unserer bilateralen Beziehungen entscheidend prägte.
Meine eigene Familiengeschichte ist untrennbar mit diesem Kapitel der Vergangenheit verwoben. Mein Vater, verließ vor über fünfzig Jahren seine Heimat, getrieben von der Sehnsucht nach einem besseren Leben in Deutschland. Die schmerzhaften Schatten der japanischen Kolonialzeit und des Korea-Krieges (von 1950 bis 1953) hatten ihm nicht nur den Vater genommen, sondern auch den Traum von einem erfüllten Leben.
Mein Vater hegte den Wunsch nach einer akademischen Karriere, für die er alle Voraussetzungen erfüllte. Doch der Mangel an finanziellen Mitteln zwang ihn, diesen Traum aufzugeben. Der Lockruf aus Deutschland, das dringend Bergarbeiter suchte, erwies sich als rettender Strohhalm. Wie viele der rund 8000 koreanischen Bergarbeiter war auch mein Vater kein ausgebildeter Bergmann. Es war die schiere Not, die sie in die Bundesrepublik trieb und unter Tage führte. Die Zeche Oberhausen-Osterfeld wurde zu seinem Arbeitsplatz.
Ein Jahr später, im Jahr 1971, kam meine Mutter in die Bundesrepublik. Gemeinsam mit anderen koreanischen Krankenschwestern wurde sie für die damaligen städtischen Krankenanstalten Krefeld eingeteilt. Es war erst in Deutschland, dass sich meine Eltern fanden und ineinander verliebten.
Koreanische Bergarbeiter brachten nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch ihre Kultur und ihre Liebe zum Sport mit nach Deutschland. Mein Vater, ein Taekwondo-Meister, teilte seine Fähigkeiten mit interessierten Gastarbeiterkollegen. In regelmäßigen Taekwondo-Demonstrationen staunten Einheimische über die faszinierende koreanische Kampfkunst. Einige seiner Schüler führen heute erfolgreich Taekwondo-Schulen in Krefeld, und mein Vater wird immer noch respektvoll als „Meister“ von ehemaligen Schülern hauptsächlich aus der migrantischen Community begrüßt.
Sport verbindet die koreanische Gemeinschaft bundesweit
Auch in der Freizeit war Sport ein zentraler Bestandteil des Lebens der koreanischen Bergarbeiter. Mein Vater spielte begeistert in einer koreanischen Bergarbeiter-Fußballmannschaft, trotz der harten Arbeit unter Tage.
Sport verbindet die koreanische Gemeinschaft bundesweit. Am 15. August versammeln sich Koreaner aus ganz Deutschland in Castrop-Rauxel, um ihren Nationalfeiertag zu feiern. Dieses Fest, in der Mehrheitsgesellschaft kaum bekannt, vereint koreanisch-stämmige Menschen in einem fröhlichen Spektakel aus Fußball, Leichtathletik sowie traditionellen koreanischen Sportarten wie „Ssireum“ und Taekwondo-Demonstrationen.
Als Kind eines koreanischen Gastarbeiters drängte mein Vater mich, Taekwondo von ihm zu lernen. Ich erinnere mich an die schweißtreibenden Trainingseinheiten im Gemeindewäschekeller des Wohnblocks. Die schmerzhafte Erinnerung an meinen Vater, der auf meine Adduktoren sprang, um sie für einen Spagat zu dehnen, ist bis heute präsent.
Diese unorthodoxen Trainingsmethoden ließen mein Interesse an der koreanischen Kampfkunst schwinden. Meine ältere Schwester Julia hingegen war leidenschaftliche Eiskunstläuferin, und ich begleitete sie oft zum Training. Eines Tages sprach ein Eishockeytrainer mit meinem Vater. Ich beobachtete, wie er nahezu komische Bewegungen mit seinen Händen machte. Mein Vater nickte, und wir fuhren in ein Sportgeschäft, wo er mir Schlittschuhe kaufte. Begeistert dachte ich an ein Geschenk, doch für meinen Vater war es ein „Vertrag“ und die Verpflichtung zum Eishockeyspielen. Das markierte den Anfang meiner Eishockeykarriere – eine Art Kampfkunst auf dem Eis.
Vor sechzig Jahren trugen die koreanischen Gastarbeiter maßgeblich zum Wirtschaftswunder Koreas bei. Als Botschafter ihres Landes machten sie Taekwondo, Kimchi und Kimbab in Deutschland populär und legten damit den Grundstein für den Erfolg von K-Pop und der Hallyu-Welle. Der ehemalige deutsche Botschafter in Seoul, Stephan Auer, unterstrich nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die menschliche Bereicherung durch die rund 20.000 Bergleute und Krankenschwestern, die das Rückgrat für die bilateralen Beziehungen bildeten.
Das 60-jährige Jubiläum des deutsch-koreanischen Anwerbeabkommens steht im Schatten, fernab der öffentlichen Aufmerksamkeit. Vor nur zwei Jahren betonte Bundespräsident Steinmeier die Bedeutung der ersten Generation türkischer Gastarbeiter als er betonte: „Die Geschichten der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter verdienen einen angemessenen Raum in unseren Schulbüchern und in unserer Erinnerungskultur; eine Randnotiz wird ihrem Beitrag für unser Land nicht gerecht.“ Die Frage stellt sich jedoch, ob die koreanischen Gastarbeiter den gleichen Respekt und dieselbe Anerkennung verdienen.
Während Projekte zum deutsch-türkischen Anwerbeabkommen vom Auswärtigen Amt finanziell gefördert wurden, um das deutsch-türkische Leben sichtbar zu machen, erfuhren Anfragen für deutsch-koreanische Kulturprojekte Ablehnung. Das Desinteresse und die Ablehnungen, obwohl das Bundesministerium für Arbeit und Soziales maßgeblich am südkoreanischen Anwerbeabkommen beteiligt war und derzeit aktiv um Pflegefachkräfte aus Brasilien und Indien wirbt, sprechen Bände.
Auch die Medienanstalten, sei es öffentlich-rechtlich oder privat, die vor zwei Jahren ausführlich über das deutsch-türkische Anwerbeabkommen berichteten, scheinen die Geschichte der deutsch-koreanischen Gastarbeiter nicht zu würdigen.
Im Oktober lud Koreas Präsident Yoon 240 ehemalige koreanische Bergarbeiter und Krankenschwestern in Seoul ein
60 Jahre Koreanisches Anwerbeabkommen ist das letzte Runde Jubiläum dieser Generation. Im Mai dieses Jahres feierten die ehemaligen koreanischen Gastarbeiter ihr 60-jähriges Jubiläum in Essen. Nicht einmal die Lokalpresse fand daran eine Schlagzeile wert. Im Oktober lud der koreanische Präsident Yoon 240 ehemalige koreanische Bergarbeiter und Krankenschwestern zu einem Luncheon in der Hauptstadt Seoul ein. Dort sagte Yoon: „Ihr Schweiß und Ihre Hingabe sind die Grundlage für die Industrialisierung Koreas, und Ihr Leben ist verbunden mit der modernen Geschichte Koreas.
Jetzt ist es an der Republik Korea, den Bergarbeitern und Krankenschwestern zu danken und sie zu ehren. Wir werden Ihren Schweiß und Ihre Aufopferung im Namen der Nation ehren und für immer in Erinnerung behalten.“ Dieser historische Moment wurde nicht einmal von den Auslandskorrespondenten, die über Südkorea berichten wahrgenommen.
Die Vielfältigkeit der Stimmen und Communities in einem Einwanderungsland zu ignorieren, ist nicht nur ignorant, sondern auch ein Akt der Verleugnung einer integralen Geschichte dieses Landes. Bundespräsident Steinmeier mag recht haben mit seiner Aussage: „Erst wenn ihre Geschichten verbreitet sind, wenn wir ihre Geschichten kennen, wenn wir ihre Geschichten als integralen Teil der Geschichte dieser Republik behandeln, erst dann verstehen wir unser aller Geschichte.“ Doch Deutschland als Einwanderungsland bleibt weit davon entfernt, diesen Worten Taten folgen zu lassen.
Die Ablehnung, diesem Teil der deutschen Geschichte die Plattform zu geben, die es verdient hat, zeigt nicht nur eine Ungleichbehandlung, sondern auch eine selektive Wahrnehmung seitens der deutschen Institutionen. Diese Ignoranz sendet eine klare und fatale Botschaft: Kleine Minderheiten haben in diesem Land keine Chance auf gleichberechtigte Teilhabe und Partizipation.
Die Geschichte der koreanischen Gastarbeiter ist nicht nur ein vernachlässigtes Kapitel, sondern auch ein Spiegel für die ungelösten Probleme eines Landes, das sich noch immer auf dem Spielfeld der Inklusion und Gleichberechtigung behaupten muss.