Katharina Grosse in der Wiener Albertina: Gesprayte Farbgewitter an den Wänden
Die Wiener Albertina ist um große Formate, schrille Motive nicht verlegen, auch wenn das altehrwürdige Ausstellungshaus gerade aus seinem reichen Grafikbestand eine gediegene Schau zu Michelangelo und den Folgen zeigt. Nur zwei Treppen tiefer aber tobt die Kunst, die Berliner Spritzpistolenmalerin Katharina Grosse durfte sich die historische Pfeilerhalle vornehmen.
Wie zu erwarten, ist daraus wieder ein furioses Farberlebnis geworden, das die Verhältnisse völlig neu definiert. Die Halle vibriert geradezu vor Energie. Der komplett weiße Raum – der dunkle Boden wurde eigens mit weißer Kunststofffolie bedeckt – flimmert in Gelb, Rot, Grün, Violett, das in weiten Bahnen mit der an einem verlängerten Arm befestigten Spritzpistole auf riesige Leinwände gesprayt wurde. Die farbigen Streifen setzen sich über den Bildrand hinaus auf einer ebenfalls weißen Folie fort, die an den Wänden den Untergrund bildet. Keine Grenze nirgends.
Vor großen Räumen wie Projekten im Freien fürchtete sich die Künstlerin ohnehin noch nie, hat sie doch in Philadelphia neben den Gleisen ein ganzes Bahngelände und in Rockaway Beach ein Strandhaus mit farbigem Nebel überzogen. In Berlin schuf sie vor drei Jahren eine begehbare Farblandschaft in der historischen Halle des Hamburger Bahnhofs, die sich bis nach draußen zu den angrenzenden Rieck-Hallen fortsetzte. Der schelmische Titel lautete „It Wasn’t Us“ und wurde sofort als Kommentar auf die prekäre Lage des Museums gelesen, dem damals ein ganzer Flügel abhanden zu kommen drohte, weil sich niemand um die Besitzverhältnisse gekümmert hatte.
In Wien heißt ihre Farbinstallation nun „Warum Drei Töne Kein Dreieck Bilden“, ein rätselhafter Titel: Was haben damit Klang und Geometrie zu tun? Tatsächlich hat sich das Farbgewitter diszipliniert entladen. Katharina Grosse ist „Malerschwein“, wie man ihre männlichen Pendants früher nannte, und Intellektuelle zugleich. Sie reflektiert den Raum, den Verlauf der Zeit, der in Malerei komprimiert ist: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehen ineinander über.
Die Pfeilerhalle suggeriert zugleich eine Ateliersituation. Die auf den Leinwänden entstandenen Bilder können nach Ausstellungsende weiterwandern, in den Markt eingehen, während die Installation wie so oft bei Katharina Grosse abgebaut wird. Der Großteil ihrer Kunst ist ephemer.
So ist auch das zeitliche Ende der an einem Haken von der Decke hängende Riesenleinwand absehbar, die von der Künstlerin rundum besprüht wurde. Einzelne Farbpartikel setzen sich pünktchenweise noch auf dem Boden ab und bescheren das reine Glück der Abstraktion.
Doch so ganz will das Seele-baumeln-lassen in Farbe, das Wegbeamen beim Betrachten diesmal nicht funktionieren. Politik kommt ins Spiel. Die Künstlerin gehörte mit Peter Doig, Nicole Eisenman, Nana Goldin, Joan Jonas, Barbara Kruger, Tomás Saraceno und Kara Walker, insgesamt 150 prominenten Künstlerinenn und Künstlern, zu den Unterschreibenden eines offenen Briefs, der am 19. Oktober in „Artforum“ und auf der Plattform e-flux „die Befreiung Palästinas“ forderte, aber keine Worte für die Opfer der Hamas fand.
Diese Empathielosigkeit für die Ermordeten, Entführten, Traumatisierten der israelischen Seite verstörte zutiefst. Ein Unbehagen ist bis heute geblieben. Auch dieses Vibrieren ist in der Wiener Albertina zu spüren: eine sehr konkrete Turbulenz, welche gerade die gesamte Kunstwelt erfasst und ihre eigentlich durch Freiheit und Toleranz charakterisierten Räume zunehmend verkleinert.