Stars auf dem Wasser, beim Warten auf “Dune”
Das Wesen des Kinos, manchmal begreift man es auf Filmfestivals wie nirgendwo sonst, auch bei der diesjährigen Mostra in Venedig. „Sie hat mich gesehen, sie hat mich gesehen“, schreit die junge Italienerin, die mit den anderen Ragazze auf der Brücke hinter dem Festivalgelände darauf gewartet hat, dass die Stars des Blockbusters „Dune“ nach der Pressekonferenz auf dem Wasserweg wieder in ihre venezianischen Hotels schippern.
Ein Mädchen im Glück, sie umarmt ihren Freund, kann es nicht fassen, springt in die Höhe, schreit wieder. Tatsächlich, erst legt das Motorboot mit Zendaya ab, die ihren Fans nicht nur zuwinkt, sondern mit strahlendem Lächeln auch ein Dankeschön zur Brücke hinüberruft. Dann das mit Hauptdarsteller Timothee Chalamet, der sich allerdings gerade in die Kabine zurückgezogen hat. Egal, überall rechts und links des Kanals haben sich die Fans versammelt, überall euphorische, weithin hallende Rufe, vom Wasser verstärkt. Schließlich können sie wegen Corona nicht den gesamten Lido mit Mauern vor Schaulustigen abschotten wie vor dem Palazzo del Cinema. Nur Autogramme lassen sich nicht von der Brücke aus jagen.
Am Freitagabend feiert mit „Dune“ Denis Villeneuves heiß erwarteter, wegen Corona um zehn Monate verschobener Superblockbuster Premiere. Die auf dem Wüstenplaneten Arrakis in 8000 Jahren angesiedelte und auf Sequels angelegte Heldensaga nach Frank Herberts Science-Fiction von 1965 begleitet den kanadischen Regisseur seit vielen Jahren. Sie sei heute aktueller denn je, sagt er auf der Pressekonferenz, geht es doch ums Überleben im Verbund mit anderen Kulturen, um die Anpassung an eine widrige Umwelt, um die Rettung der Menschlichkeit.
Von Zendaya bis Charlotte Rampling: “Dune” versammelt Stars für jeder Generation
„Künftige Generationen werden das Urteil über uns fällen“, so Villeneuve. „Es wird Zeit, dass wir ungehalten werden, dass wir endlich etwas tun. Es geht um unser aller Überleben.“ Fast schon eine Kampfrede.
Wie auch im Film. Javier Bardem versteht seine Rolle ebenfalls als Teil seines Umweltengagements. „Wir haben die Grenzen überschritten, müssen unser Verhalten ändern“, meint der Klimaaktivist. Frank Herbert sei seiner Zeit vorausgewesen. Neben Zendaya, Chalaamet und Bardem sitzen auch Josh Brolin, Rebecca Ferguson und Oscar Isaac auf dem Podium: „Dune“ versammelt Stars für jede Generation, nicht nur für die Kids. Fast alle sind sie auf den Lido gekommen, lediglich die im Film mit Supermächten ausgestattete Charlotte Rampling fehlt bei der Pressekonferenz.
Ansonsten wird neben heiteren Sidekicks – „die größte Herausforderung beim Dreh seien Timothee Chalamets Haare gewesen“, beantwortet Villeneuve die Frage nach den spektakulären Actionszenen zunächst, mit Verweis auf den wilden Wuschelkopf des 26-Jährigen – und der Klimakatastrophe vor allem über die Psychologie geredet.
Wer den Film noch nicht kennt, der den Medienvertretern am Morgen unter den üblichen strengen Antipiraterie-Bedingungen gezeigt wurde (mit blickdichten Tüten für die Handys und Kontrollgängen im dunklen Saal), könnte bei der Pressekonferenz meinen, es handele sich eher um ein Psycho-, ein Familien- und ein Politdrama. Von menschlichen Herrschern ist die Rede, von der militären Macht und der Power des Geistes, vom Kampf der Mütter, die ihre Kinder beschützen wollen, und von Chalamets Kunst, allein mit seinem Mienenspiel einen Machtkampf darzustellen.
Noch gilt das Embargo, noch darf nichts über den Film selber verraten werden. Nur so viel: Wenn Villeneuve betont, „Dune“ solle auch eine physische Erfahrung sein, ein möglichst immersives Erlebnis, hat er nicht zu viel versprochen. Was allerdings auch an der auf Fortissimo gedrehten Tonanlage beim Morgen-Screening gelegen haben mag. Josh Brolin, der auf dem Podium den Klassenclown gibt, spricht gar von der Erlaubnis zum Regredieren. „Dune“ wolle dem Publikum mehr als nur ein spektakuläres Kinoerlebnis bieten.
Was das 78. Filmfest Venedig an den ersten Tagen bietet, ist allemal Starpower. Allein Oscar Isaac ist in gleich drei Produktionen zu sehen, sitzt gleich drei Mal auf dem Podium, läuft gleich drei Mal über den roten Teppich. In „Dune“ spielt er den Vater des Helden, in der Neu-Adaption von Ingmar Bergmans TV-Serie „Szenen einer Ehe“ liegt er im Rosenkrieg mit Jessica Chastain, und in Paul Schraders „Card Counter“ verkörpert er einen Profi-Spieler, der als Army-Verhörspezialist im Irakkrieg gefoltert hat.
Schuld und Sühne: Paul Schrader bleibt seinem Lebensthema treu
Ein Film über Trauma und Verdrängung, dessen Schauplätze zwischen Abu-Ghraib-Alpträumen und realen Spielcasinos wechseln. In den Drehpausen, so Isaac, habe er ab und zu selber gepokert, nie mehr als 20 Dollar gesetzt und nie länger als zwei Stunden.
Nach Afghanistan befragt, will Altmeister Paul Schrader nicht mal eben ein schnelles Statement abgeben. Er sagt dann aber doch, dass die jetzt heimgekehrten US-Soldaten bestimmt noch über Jahre von dem verfolgt werden, was sie in den letzten Tagen am Flughafen in Kabul erlebt haben. Die Gesellschaft mag den Irakkriegs-Tätern vergeben haben, „aber sie haben sich selbst nicht vergeben“, so Paul Schrader mit seiner leisen, rauen Bassstimme. Seit seinem Drehbuch für Scorseses „Taxi Driver“ bleibt er seinem Lebensthema treu: Schuld und Sühne, die Traumata Amerikas. Hollywood ist ernst zumute in dieser Saison, bis hin zum Blockbuster eines Denis Villeneuve.