Handballer der Füchse immer besser: Reif für einen Titel
Mathias Gidsel zog auf die Kieler Abwehr zu, sprang hoch und warf dann jedoch nicht selbst, sondern leitete den Ball in der Luft hinterrücks an Kreisläufer Mijajlo Marsenic weiter, der sich zuvor hinter dem Doppelblock gekonnt abgesetzt hatte und das Spielgerät schließlich via Heber im Tor versenkte. Am Ende zauberten sie also auch noch. Spätestens nach dieser Aktion in der Schlussphase gegen den THW Kiel war sich auch der letzte Zweifler sicher: Diese Partie würden sich die Füchse nicht mehr nehmen lassen.
„Das war pures Glück”, sagte Gidsel nach dem Spiel, das mit einem souveränen 34:26-Sieg endete, zu seinem Traumpass. Doch mit Glück hatte weder das Anspiel noch der Erfolg der Berliner am Sonntag etwas tun. Wenig Fehler, viel Tempo und dazu ein gut abgestimmtes Kollektiv – das war das Erfolgsrezept der Füchse, dem der Rekordmeister wenig entgegenzusetzen hatte.
Weil Gidsel ebenso wie seine Teamkollegen Paul Drux, Jacob Holm und Fabian Wiede im Rückraum mit individueller Klasse und Durchsetzungsvermögen glänzten. Weil Marsenic von seinen zehn Versuchen neun einnetzte und dadurch die herausgearbeiteten Chancen bestens verwertete. Weil die eigene Defensive schnell auf den Beinen war und mit teils weit vorandeckenden Halbspielern kompakt und antizipativ agierte, sodass die Kieler zu ungewohnt vielen Fehlern gezwungen wurden.
„Das war eine verdiente Niederlage für uns. Berlin hatte in der ersten Halbzeit viel mehr Energie und Intensität. Dadurch war das Spiel vorzeitig entschieden. Das ist sehr bitter, aber auch eine gute Lehrstunde”, sagte Kiels Trainer Filip Jicha, dessen Mannschaft von Beginn an einem Rückstand hinterherlief.
Manch einer mag den Grund dafür auf das Fehlen der Ausnahmehandballer Sander Sagosen und Hendrik Pekeler beim THW zurückführen und die Verletzungen der Außenspieler Sven Ehrig und Rune Dahmke anmerken. Auch die laufintensive Champions-League-Begegnung der Kieler bei KS Kielce (37:40) am vorangegangenen Donnerstag, die einer spielfreien Trainingswoche bei den Füchsen entgegen stand, könnte als Argument angeführt werden.
Doch wenngleich diese Faktoren vielleicht ein paar Prozentpunkte ausgemacht haben gegen eine derart gut aufgelegte Berliner Mannschaft hätte eine vollbesetzte, ausgeruhte Kieler Mannschaft wahrscheinlich ebenso ihre Probleme gehabt.
Wir haben gegen die vielleicht beste Mannschaft der Welt gewonnen.
Mathias Gidsel, Füchse Berlin
„Wir haben gegen die vielleicht beste Mannschaft der Welt gewonnen und gezeigt, dass man mit uns rechnen muss. Das war einfach ein tolles Gefühl heute und eine starke Leistung von der ganzen Mannschaft”, erklärte Gidsel nach Abpfiff mit einem breiten Lächeln im Gesicht und war mit seiner Freude selbstredend nicht allein:„Es ist brutal schön, dass wir hier vor so einer Kulisse so ein Handballfest feiern konnten”, sagte der Vorstand Sport der Füchse Stefan Kretzschmar, der seit seiner Zeit bei dem Verein auf eine sehenswerte Bilanz gegen den einstigen Angstgegner aus dem Norden verweisen kann.
Denn im Dezember 2019 gewannen die Berliner nach neun sieglosen Jahren erstmals wieder gegen den THW. In der vergangenen Saison holte das Team von Trainer Jaron Siewert dann sogar zwei Punkte in der Ostseehalle, erzwang vor heimischen Publikum ein Unentschieden. Und nun der souveräne Erfolg, der über 60 Minuten kaum zur Disposition stand. „Wir haben die Neuzugänge bereits sehr gut integriert. Das trägt die Stimmung, das trägt die Trainingsqualität und gibt uns Vertrauen in unsere Leistung. Das, plus den Kern der Mannschaft, der zusammengeblieben ist, ist der Faktor, warum es gerade so gut läuft”, erklärte Trainer Siewert und rief gleichzeitig zu Demut auf: „Das ist eine schöne Momentaufnahme, die wir genießen. Aber ich möchte nichts von einem Fingerzeig oder so etwas hören. Die Saison ist noch lang. Das war eine Topleistung, die aber nur einmal passiert. Da bin ich Realist.”
Realistisch betrachtet lässt sich allerdings festhalten, dass die Füchse nicht nur gegen den THW Kiel eine beeindruckende Entwicklung vorzuweisen haben. Das Team hat unter Siewert – und durch die von Kretzschmar vollzogenen personellen Verstärkungen – defensiv wie offensiv ein neues Level erreicht und ist zu einem ernstzunehmendem Titelfavoriten avanciert. Sei es in der Bundesliga, der European League oder im DHB-Pokal.
Da ist es nur konsequent, dass die bisher ungeschlagenen Berliner aktuell vor Kiel und Magdeburg in der HBL-Tabelle rangieren und nur den mit beeindruckendem Selbstbewusstsein aufspielenden Rhein-Neckar-Löwen den Vortritt lassen müssen. Und wenn Siewert betont, es gäbe noch „vieles, woran man arbeiten muss”, zeigt das nur, welches Potential noch in der Mannschaft steckt.
Aktuell muss sich der Trainer allerdings erst einmal mit dem aktuellen Stand begnügen. Bis auf fünf Spieler, von denen zwei verletzt sind, haben sich alle seine Handballer für eine Woche in Richtung ihrer Nationalmannschaften verabschiedet. Danach darf dann in Berlin wieder gezaubert werden.
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