Ausstellung im Kunstverein Ost : Schmerzen in der Fernbeziehung
Zwei Gestalten stehen auf einer Wiese. Sie sind verhüllt mit einer silbern glänzenden Folie, die im Wind flattert und an das Material erinnert, mit dem Christo und Jeanne-Claude einst den Reichstag umwickeln ließen. Jetzt sind menschliche Figuren darin verborgen. Der Videoloop ist Teil der Installation „By Law“ von Lesia Pcholka & Uladzimir Hramovich, aktuell zu sehen in der Ausstellung „Fernbeziehungen“ im Kunstverein Ost. Beide stammen aus Belarus und mussten nach der niedergeschlagenen Revolution ihre Heimat verlassen.
Schrundige Betonelemente, wie man sie oft am Rande von Autobahnen findet, sind vor der Videowand ausgebreitet. Aus ihnen heraus wachsen graue Blumen. Die Betonfragmente hat das Künstlerpaar in Berlin aufgesammelt, wo es inzwischen lebt, erzählt Hramovich dem Tagesspiegel.
Migration als vielschichtige Erfahrung
Die Blumen selbst stammen aus einem 3D-Drucker und symbolisieren anhand der Blüten, die die Form von Ländergrenzen haben, die Staaten, durch die beide gezogen sind: Georgien, Ukraine, Polen, Österreich, Tschechische Republik und Deutschland.
Wir müssen überlegen, was wir sagen. Denn ich habe noch Familie in Belarus.
Uladzimir Hramovich, Künstler aus Belarus in Berlin
Es sind zugleich die Blumen jener Länder, in denen das Paar bisher erfolglos versucht hatte, zu heiraten. „Dabei geht es nicht nur um Liebe und das Versprechen, füreinander da zu sein. Für Migranten wie uns geht es vor allem um einen sicheren Ort“, betont Hramovich. Dass es bisher mit dem Verheiraten nicht klappte, liegt vor allem an den Schwierigkeiten, im jeweils aktuellen Zeitfenster vor Ort die richtigen Dokumente zusammenzubekommen.
Wahlfamilie in den USA
„By Law“ ist eine Installation der Vergeblichkeit. Aus der Perspektive der Zurückbleibenden agiert Zofia nierodzińska. Drei große Leinwände brachte die polnische Künstlerin und Kuratorin, die auch die Idee für die Ausstellung hatte, mit. Eine zeigt die Maschine der polnischen Fluggesellschaft LOT, mit der ihr Vater in den 1990er Jahren gen New York flog.
Eine zweite Leinwand bildet sie als Kind mit ihrer Mutter und den Geschwistern ab, die in Polen blieben. Die dritte fasst, was nierodzińska vor allem aus Erzählungen kennt, ins Bild: Die soziale Ersatzfamilie, die ihr Vater mit den ebenfalls aus Polen stammenden Arbeitskollegen in den USA fand. Ihre Beziehung zu dieser sozialen Wahlfamilie des Vaters beschreibt sie als komplex: „Erleichterung ist dabei, aber auch Traurigkeit, vielleicht Eifersucht.“
Sie initiierte die Ausstellung, weil Migration zum einen immer stärker auf die politische Agenda rückt, in Deutschland wie in Polen. „Das Problem ist aber, dass man dabei sehr wenig mit Menschen spricht, die tatsächlich Migrationserfahrung haben. Wir wollen Migration näher bringen und zeigen, dass das eigentlich eine ganz normale, übliche und alltägliche Erfahrung ist“, sagt sie.
Im globalen Kunstbetrieb ist Migration sehr oft eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg, denn vor allem die Hotspots der Branche versprechen Zugang zu Kuratoren, Galeristen und Sammlern. Auch politische und soziale Folgen von Migration werden bearbeitet. Die Alltagsperspektive von Künstlern und Künstlerinnen, die selbst oder über ihre Familie von Auswanderung betroffen sind, findet allerdings seltener einen Platz. In dieser Hinsicht leistet der Kunstverein Ost Pionierarbeit.
Eine sehr toxische Komponente von Fernbeziehungen offenbart sich am Beispiel Hramovichs. „Wir müssen immer überlegen, was wir sagen. Denn ich habe noch Familie in Belarus“, sagt er. Er hielt es auch für wahrscheinlich, dass Abgesandte der Botschaft bei der Eröffnung zugegen waren: „Sie lesen die Zeitungen, sie gehen zu kulturellen Events der Diaspora. Berlin ist sowieso voller russischer Spione, das ist kein Geheimnis. Mit Belarus ist es ähnlich.“
Er sei nicht paranoid, nur realistisch, sagt er sarkastisch. Weitere Arbeiten kommen von der aus Polen stammenden und Berlin lebenden Alicja Rogalska und dem zwischen Istanbul und Berlin pendelnden Aykan Safoğlu.