Sauna, Kunst und Pilze für alle
Jetzt regnet es dauernd, zuvor war der Sommer heiß wie nie. In Finnland sei der Klimawandel spürbar, sagen die Hauptstädter, wenn sie ihre Schirme aufspannen. Manche meinen, Finnland brauche eine eigenständigere Energiepolitik, Unabhängigkeit von Rohstoffen aus Russland.
Dabei sind die Verantwortlichen im Land, allen voran die neue grüne Klimaministerin Krista Mikkonen im Moment ganz zufrieden mit ihrer Bilanz. Finnland ist im UN-Vergleich nicht nur Glücklichkeitssieger sondern auch die Nummer Eins in Sachen nachhaltiger Entwicklung.
Die nächsten Jahre noch mit Atomkraft
85 Prozent der im Land produzierten Energie sei sauber, sagt Krista Mikkonen bei einem Treffen mit deutschen Journalisten in Helsinki. Mehr als 50 Prozent des im Inland produzierten Stroms kommt aus erneuerbaren Quellen. Zur sauberen Energie zählt hier aber auch die nukleare Produktion.
Finnland investiert, anders als Deutschland, in Kernenergie. Nach zehnjähriger Bauzeitverzögerung ist auf der Insel Olkiluoto im Südwesten Finnlands 2021 ein neuer Reaktor in Betrieb gegangen.
2035 will das Land klimaneutral sein. 15 Jahre früher als in Europa insgesamt. Der Weg dorthin ist auch für die naturbewussten Finnen nicht leicht. Elektromobilität zum Beispiel. In dem großen, dünn besiedelten Land sind viele auf das Auto angewiesen. Die Luxussteuer auf PKW ist hoch, Neuanschaffungen teuer. Es wird nicht leicht, die Menschen zum Umsteigen zu bewegen.
Erneuerbarer Treibstoff – in Deutschland allerdings verboten
Immerhin tankt unser Bus schon erneuerbares Diesel, hergestellt aus Abfällen wie Plastikmüll und Pommes-Öl. Der finnische Konzern Neste befüllt auch Flugzeuge mit diesem Treibstoff, verkauft ihn in Belgien, Norwegen, Kalifornien; an deutschen Tankstellen ist der grüne Treibstoff noch nicht erlaubt.
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Die Fahrt geht vorbei an tausend Seen und an Wäldern. Finnland hat mehr davon als jedes andere Land in Europa. Soll man den Wald in Ruhe lassen und als Kohlenstoffsenken nutzen, so wie die EU-Kommission es in ihrer Klimastrategie „Fit for 55“ fordert? Oder die Bewirtschaftung intensivieren, wie viele Finnen es wollen, den Heimatstoff Holz als Ressource für Häuser, Klamotten und Verpackungen nutzen?
Der Himmel ist blau und allzu oft auch verhangen. Aber man weiß ja, dass es bald wieder aufreißt. Wer so denkt, hat „sisu“ schon ein bisschen verstanden, eine Mentalität, die tief in der finnischen Kultur verankert ist. „sisu“ bedeutet Widrigkeiten zu akzeptieren, durchzuhalten, Herausforderungen als Chance anzusehen.
Man scheint auch verinnerlicht zu haben, dass das allein keinen Spaß macht. Europaministerin Tytti Tupppurainen spricht von „Economy of Wellbeing“. Das Beste gehört hier meist allen: die Saunen am See, die Beeren im Garten, die Pilze im Wald. Herrlich sind sie am Saimaa-See. Man will gar nicht zurück.
Die Pilze im Wald sind für alle da
In Helsinki zeigt sich Elektromobilität in Form von Rollern, wie in Berlin. Die Jüngeren brettern rasant über die Gehwege. War die Stadt früher für ihre dunklen Kaurismäkiartigen Kneipen bekannt, sind die Straßen jetzt voll mit Restaurants, die auf nachhaltige, nordische Küche setzen. Helsinki ist eine angesagte Designstadt. Iittala und Marimekko überall in den Schaufenstern.
Klaus Happaniemi kennt in Finnland so ziemlich jeder, oder zumindest die Tassen und Teller, die er für die finnischen Labels macht. Design ja, Trends nein, sagt Happaniemi entschieden. Mit Ehefrau Mia Wallenius hat er eine eigene Firma gegründet, ihre Kissen, Tapeten, Teppiche, das Geschirr und die Mode sind mit Fröschen, Füchsen, Gräsern und Eisblumen bedruckt. Happaniemi sagt, nichts inspiriere ihn so sehr, wie die finnische Natur.
Weil das kreative Paar aber auch die Nähe zu den Künsten sucht, sind sie 2020 nach Berlin gezogen. Helsinki hinkt in Sachen Kunst hinterher – und investiert.
Ilja Repin wird auch von den Finnen verehrt
Das Kiasma ist hinter Stoffbahnen verborgen. Das viel gelobte Museum für Zeitgenössische Kunst wird noch bis 2022 saniert.
Mitten im Zentrum liegt auch das Ateneum, ein weiterer Teil der Nationalgalerie. Dort läuft eine Ausstellung, für die man nur mit Glück noch Tickets bekommt. Coronabedingt ist die Besucherzahl beschränkt.
Die aus der Tretjakow-Galerie und dem Russischen Museum in Sankt Petersburg kommenden Meisterwerke des russischen Malers Ilja Repin sind eine Sensation, selten genug werden sie ausgeliehen. Das Ateneum beherbergt die nationale Kunstsammlung vom 18. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre.
Das Neo-Renaissance-Gebäude wird bald eine neue Klimaanlage erhalten. Auch das viele Reisen, das vor der Pandemie normal gewesen sei, wolle man einschränken, erzählt Kuratorin Sointu Fritze. Einfach mal nach Paris fliegen gibt’s nicht mehr.
Nachhaltigkeit auch im Museum
„Wenn 250 Leute in der Nationalgalerie das so halten, ändert sich etwas.“ Gerade bei den internationalen Ausstellungen will man künftig anders arbeiten. „Normalerweise kommen aus allen Ländern Restauratoren eingeflogen, die die Leihgaben vor Ort überwachen. Schon während der Pandemie gingen wir davon weg.“ Corona lehrt Vertrauen. Wenn das Schule macht!
Repins realistische Darstellungen von „Binnenschiffern an der Wolga“ und seine persönlichen Porträts von Künstlerfreunden wie Leo Tolstoi werden auch von den Finnen sehr verehrt. Mit diesen Porträts hätten die Finnen gelernt, die russische Seele zu verstehen, heißt es.
Repin, der Vorzeigerusse, ist auf dem Gebiet der heutigen Ukraine geboren. Von 1903 bis zu seinem Tod 1930 lebte er in Kuokkala, 30 Kilometer nordwestlich von St. Petersburg. Nach der Oktoberrevolution 1917 erklärte Finnland seine Unabhängigkeit und Kuokkala war eine Weile finnisch. Kunstgeschichte ist auch Geopolitik.
Kunst auf der Insel, aber bitteschön alles wieder mitnehmen
330 Inseln zählt das Helsinkier Archipel. Zur „Maritimen Strategie“ der Hauptstadt gehört es, die Inseln stärker zur Erholung zu nutzen. Suomenlinna mit seiner Festung ist Unesco-Welterbe und bereits ein beliebtes Ausflugsziel. Das benachbarte Vallisaari hingegen war bis 2016 für Besucher gesperrt.
Vor 200 Jahren kämpften Russen und Schweden um das Eiland, lagerten dort Schießpulver und Munition. Seit den 1990er Jahren ist die Insel unbewohnt. Wälder und Tierwelt waren sich selbst überlassen. Jetzt schwärmt man von 1000 Schmetterlingsarten.
Nun soll die neue Helsinki Biennale Vallisaari beleben. Aber so, dass das Naturparadies seinen Artenreichtum und die intakte Flora behält. Jeder Nagel und jedes Stück Plastik, das nach Vallisaari gebracht wird, soll von dort auch wieder weg. Auch die Kunst, die hier an vielen Stellen aufs Schönste mit Land und Wasser verschmilzt, soll nicht auf der Insel bleiben, teils aber auf dem Festland wiederaufgebaut werden. Vallisaari – ein Testzentrum für nachhaltigen Kunstgenuss.
Jederzeit von Wasser und Wald umgeben
100 000 Besucher haben seit Juni bereits mit der Fähre übergesetzt, man startet direkt vom Marktplatz in Helsinki und ist in 20 Minuten da. Sonntags ist richtig was los. Der Eintritt ist frei und der Blick auf Helsinkis Skyline und die Schäreninseln atemberaubend.
Die Berliner Künstlerin Alicja Kwade hat an einem Strand acht massive Marmorkugeln installiert. „Pars pro Toto“ heißt die Arbeit, die auch schon auf der Venedig Biennale reüssierte. Es sieht schön aus, wenn die Kinder sich mit ausgebreiteten Armen selig über die glattpolierten Kunstgestirne hängen. Der erste Impuls: anfassen. Sich verorten im großen Ganzen.
Die rund 40 internationalen Künstlerinnen und Künstler geben mit Installationen und Videos in den alten Schießpulverkellern Ausblicke auf eine posthumane Welt, machen auf Naturphänomene und Unsichtbares aufmerksam. Die in Berlin lebende Dafna Maimon hat ein Kellergewölbe in einen menschlichen, glucksenden Darm verwandelt. Einer von vielen Perspektivwechseln.
Etliche Mülldeponien geschlossen
Der Finne Jaakko Niemelä lässt eine Holzkonstruktion am Ufer aufragen, sechs Meter hoch. Sie zeigt an, wie der globale Meeresspiegel anstiege, wenn das nördliche Eisschild Grönlands abschmelzen würde. Auch das finnische Forschungsinstitut Bios hat eine kleine Hütte auf Vallisaari bezogen und präsentiert auf mehreren Screens Zahlen zum Ressourcenverbrauch.
[Die Recherchen für diesen Text wurden von der finnischen Botschaft in Berlin unterstützt.]
Empathie und Verbundenheit ist das große Thema dieses Biennalen-Auftakts, der unter dem Motto „Same Sea“ auch darauf anspielt, dass alle Lebewesen durch das Wasser miteinander verbunden sind. Es kommt und geht, wie die Wellen des Meeres.
Ein Plädoyer für die Kreislaufwirtschaft, könnte man meinen. Auch darin sind die Finnen gut. Mehr als 2000 Mülldeponien wurden in den vergangenen Jahren im Land geschlossen. Die Materialrecyclingquote liegt bei über 40 Prozent und soll noch besser werden. Alles wird besser, wenn man nicht aufgibt.