Band Die Regierung mit neuem Album: Warten, dass die Stille spricht
„Du gingst mir so auf die Nerven. Ich hab dir gesagt, mit uns beiden, das wird nichts werden.“ Was Tilman Rossmy, Sänger und Gründer der Band Die Regierung, im Stück „Wenn die Liebe ruft“ vom neuen Album „Nur“ besingt, basiert – wie so oft in seinen Texten – auf einer wahren Geschichte. Wie hier die Liebe zu seiner Frau, die offenbar nicht auf den ersten Blick erblühte.
Aber: „Wenn die Liebe ruft, überleg ich nicht lang. Ich spring hinein, ich nehm den Job an“, dazu rumpeln Schlagzeug, Gitarre und Bass wie eine Herde bockender Esel, während im Hintergrund verzerrte Sounds ein „Es ist kompliziert“-Gefühl vertonen. „Auf einmal war dann doch die Liebe da“, singt oder spricht Rossmy schließlich mit seiner nuschelnd-näselnden Stimme, die meist ein wenig widerwillig wirkt, als müsste man dem Sänger alles, was er zu sagen hat, aus der Nase ziehen.
Man muss schon gut hinhören, um die Texte des gebürtigen Esseners zu verstehen. Versteht man die Worte, bleiben dennoch Fragen offen. „Gap“ nennt man diese Leerstellen im Comic. Das ist der Raum zwischen zwei Panels oder Bildern, den der Leser selbst füllen muss, um einen Zusammenhang herzustellen. „Es ist oft das, was nicht gesagt wird, was einen Song gut macht, die Stille zwischen den Worten“, meint Tilman Rossmy, der von sich selbst sagt, dass er die Stille schätzt.
Songs über die Psychatrieerfahrung
Dabei gehört er wohl zu den offensten Erzählern in der aktuellen deutschsprachigen Musik. Schon in den 90er Jahren, als Die Regierung zwei Alben bei dem Hamburger-Schule-Label L’age d’or veröffentlichte, das auch Die Sterne und Tocotronic unter Vertrag hatte, besang er seine Gedanken zu Liebe, Beziehungen und Erlebnissen frei heraus. „Ich bin seltsam“, konstatierte Rossmy auf dem Album „Unten“ (1994), mit dem sich die Band für über 20 Jahre aus dem Musikgeschäft verabschiedete. Ihr eigensinniger Charme ist auch nach 30 Jahren und trotz der wechselnden Besetzung geblieben.
1982 gründete Tilman Rossmy Die Regierung als Ein-Mann-Band. Anlass für das Songschreiben war sein Psychiatrie-Aufenthalt mit 19 Jahren. „Ich habe Stimmen gehört. Das war schlimm. Wenn ich das erzählt habe, hat das die Leute erschreckt“, sagt er im Videocall. Die Erfahrungen in der Psychiatrie empfand er als erniedrigend und verarbeitete sie später in Musik. „Als ich dann darüber schrieb, war es nicht mehr so schlimm. Da war es dann sogar gut, was ich daraus machte“, sagt er.
Auch in „Nur“ singt Rossmy über eigene Erfahrungen und seine Gedanken dazu. Damit öffnet er immer wieder den Raum für die Identifizierung mit seinem Song-Ich. Wer kennt diese Momente nicht, in denen man plötzlich das Gefühl hat, etwas Wichtiges über das Leben verstanden zu haben? Daran erinnert sich Tilman Rossmy in dem Stück „Kein Grund glücklich zu sein“, einer der Schlüsselsongs des Albums. „Im Sommer 1974 habe ich meinen ersten Trip genommen. Ich konnte sehen, dass die Liebe so präsent ist wie Sand in der Wüste, wie Wasser im Ozean“, singt er, begleitet von einem treibenden Schlagzeug und Gitarrenslides im Country-Stil.
Die Liebe zum Fußball ist auch eine Liebe
„Das war die Zeit, bevor ich in die Psychiatrie kam, da war ich noch sehr jung und habe viel LSD genommen“, sagt Rossmy. „Ich war noch überhaupt nicht bereit für das Leben“, weiß er heute. „Aber das hat mein Leben dann auch irgendwie geprägt.“ Zurzeit lässt sich Tilman Rossmy, der mittlerweile seit 16 Jahren in Bern lebt und hauptberuflich als Softwareentwickler arbeitet, als Trip Sitter für begleitete LSD-Trips ausbilden.
Die Erkenntnis, dass man keinen Grund braucht, um glücklich zu sein, begleitet ihn bis heute. „Die Liebe ist der Stoff in der Welt, den wir nur deshalb übersehen, weil er so präsent ist“, sagt er. Um diese Liebe gehe es in den Stücken auf „Nur“. Lediglich „Wenn die Liebe ruft“ bilde eine Ausnahme. Genau wie die Liebe in dem Song entstand auch der Albumtitel „Nur“ über Umwege. „Weil viel Liebe vorkommt, dachten wir erst an den Titel ,Liebe’. Das war mir aber zu plakativ und ich dachte eher an ,Keine Liebe’“, erzählt Rossmy. Das sei den anderen aber zu negativ gewesen.
Die Lösung brachte schließlich die Liebe zum Fußball. „Ein Bandkollege und ich sind Fans von Rotweiß Essen. In Anlehnung an den Kampfruf „Nur der RWE!“ habe ich aus Spaß gesagt: „Nur die Regierung“ – das „Nur“ ist es dann geworden.“ Außerdem bedeute „nur“ auf Arabisch „Licht“, was gut zum Album passe.
Mit dem Licht und der Liebe ist es vielleicht wie mit der Stille, in der Tilman Rossmy seine Stücke schreibt. „Je mehr man versucht, darüber zu reden, desto mehr wird man scheitern. Aber als Songwriter kann man nicht aufhören, darüber zu schreiben“, sagt er. „Ich muss aus dem Weg gehen, damit was entstehen kann. Ich setze mich hin mit der Gitarre und höre, ob da was kommt. Das kommt von woanders. Aus dem Nichts, würde ich sagen. Oder aus der Stille. Ich warte, dass die Stille anfängt zu sprechen.“