Meister der Electrocats
Die Katzen aus Louis Wains Spätwerk gleichen „Electrocats“, keinesfalls Disneys niedlichen „Aristocats“ oder schmusigen Youtube-Katzen. Als sei ihnen der Schwanz in die Steckdose gekommen. So sehen die Viecher mit den aufgerissenen Augen und dem gesträubten Fell aus. Psychedelisch geradezu.
Oder psychotisch. Die Schizophrenie des 1939 verstorbenen Künstlers ist längst ausgebrochen, als er verarmt und rauschebärtig in der Psychiatrie sitzt und seine stärksten Werke schafft. Katzen und Elektrizität faszinierten Wain. Nur dass seine Vorstellung von elektrischer Ladung nicht aus dem Physiklehrbuch stammt, wie Will Sharpes Biopic „Die wundersame Welt des Louis Wain“ in halluzinogenen Traumsequenzen zeigt.
Benedict Cumberbatch kann Käuze
Der „mad artist“ ist ein ebenso populärer Kinotopos wie der „mad scientist“. Kein britischer Schauspieler macht sich bei der Darstellung von Exzentrikern und Genies so gut wie Benedict Cumberbatch, der Louis Wain in langen Rückblenden vom Twen bis zum Greis verkörpert.
Cumberbatch, der für „The Power of the Dog“ jüngst erst für den Oscar nominiert war, wirft sich mit Wonne und Witz in Wains Schrullen, macht jedoch auch die psychischen Abgründe spürbar, denen Wain in gezeichneten Tagebüchern albtraumhafte Szenen widmet.
Geboren im Jahr 1860, wird Louis Wain kurz vor der Jahrhundertwende als Katzenmaler berühmt. Der Zeichner, Illustrator und Cartoonist beginnt in der „Illustrated London News“ damit, die Tiere zu Helden seiner Bilder zu machen. Katzen, die vermenschlicht sind, die Kricket spielen, Tee trinken, Rad fahren oder betrunken durch das Hafenviertel schwanken. Nicht immer nur putzig, sondern auch mal mit Society-kritischem Touch.
Toby Jones spielt den kauzigen Verleger Sir William Ingram, der Wain zum Mentor wird. „Louis Wain erfand einen Stil für Katzen, eine Gesellschaft für Katzen, eine ganze Katzenwelt“, schwärmt eingangs eine Radiostimme. „Happier and cattier“, habe er die Welt gemacht. Die Stimme gehört dem Schriftsteller H.G. Wells (Nick Cave in einer Minirolle), der als Erfinder fantastischer Science-Fiction-Welten zu Wains Fans und Unterstützern gehörte.
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Das Viktorianische Zeitalter als Epoche rabiater Klassenunterschiede und eines visionären technischen Aufbruchs liefert die Folie, vor der Wains Lebensgeschichte spielt. Sie ist geprägt von materieller Not, die auch seine fünf Schwestern und Ehefrau Emily Richardson (Claire Foy) trifft.
Dieser tragischen Liebesgeschichte – sie ist als ehemalige, noch dazu ältere Gouvernante eine unpassende Partie und stirbt wenige Jahre nach der Hochzeit an Krebs – und Wains wechselnden Gemütszuständen widmet sich der Film hingebungsvoll, als Künstlerporträt taugt er kaum. Auch nicht als Porträt eines genialischen Dilettanten, der beim Versuch „das Chaos in seinem Kopf durch Beschäftigung zu beruhigen“, wie Erzählerin Olivia Coleman in der Originalfassung sagt, Opern komponiert und Patente anmeldet.
[“Die wundersame Welt des Louis Wain” läuft in zehn Berliner Kinos (auch OmU).]
Dazu fallen die märchenhaften, wie gemalt wirkenden Settings in Herbst-, Winter- und Sommerlandschaften und die mit dauergoldenem Licht gefluteten Innenräume zu sentimental und kitschig aus. Dazu ist auch viel zu wenig Kunst zu sehen, von Wains Arbeitsmethoden und künstlerischer Auseinandersetzung ganz zu schweigen. Regisseur und Drehbuch-Coautor Sharpe charakterisiert ihn als manischen Schnellzeichner, der durch einen schwarzweiß getigerten Kater zum Katzenmaler wird.
Kater Peter läuft ihm und Emily zu und versüßt ihr die letzten Lebenswochen. „Die Welt ist schön“, beharrt Emily sogar auf dem Sterbebett und weist Louis seine zukünftige Rolle als Künstler zu: „Du bist das Prisma, durch den sich der Strahl des Lebens bricht.“ Es sind Schmonzettensätze wie diese, die labilen Zuschauerseelen zusetzen.