Chronistin der Berliner Wendejahre
Die Filme von Petra Tschörtner sind bekannter als ihr Name. Vor allem der eine, der Klassiker, dessen Titel auch gar nicht nach Kunstwerk klingt, sondern wie eine Chronik. Ein So-war-es, an das sich alle erinnern können: „Berlin – Prenzlauer Berg“.
Der Untertitel verrät die Machart: „Begegnungen zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli 1990“. Leichthändig hangelt sich der Film durch die rasende Zeit und den Bezirk, in dem noch ein Kombinat steht, das Kleidung produziert, die aber keiner mehr tragen will. Und in dem, natürlich, bereits der legendäre Imbiss existiert, vor dem sich dann Gerhard Schröder für den Instagram-Account seiner Frau So-yeon ablichten lässt mit einer Currywurst, weil man so lächelnd mitmischen kann im politischen Gekabbel von heute.
Damals – und das fängt Tschörtners Film auf eine würdevolle, aber auch komische Weise ein in seinem klaren Schwarzweiß – ist Öffentlichkeit an analoge Orte gebunden: an den Kultursaal, die Tanzveranstaltung, die Kneipe, in der gleich zu Beginn drei angeschickerte Rentnerinnen an einem Tisch sitzen wie Kinder. Was die Laune nicht trübt: Wer nichts zu erwarten hat von der neuen Zeit, der kann auch am helllichten Tag schon mit Sekt anstoßen.
„Berlin – Prenzlauer Berg“ ist ein atemloser und zugleich umsichtiger Film. Er versucht festzuhalten, was in Bewegung ist, und vermittelt ein feines Gespür für die Leute, für die 1989/90 nicht zum großen Geschäft werden wird. Im Kombinat registriert die Kamera von Michael Lösche die Wandzeitung, auf der den vietnamesischen Kolleginnen zum Geburtstag gratuliert wird, während in den Erklärungen der deutschen Interviewten schon mit „Revolte“ und „Rassenhass“ gedroht wird bei anstehenden Verteilungskämpfen.
Den Verhältnissen abgetrotzt
Zu sehen ist der Film beim Festival Achtung Berlin, das aus Anlass des zehnten Todestags von Petra Tschörtner, die 2012 mit nur 54 Jahren starb, der Filmemacherin eine Retrospektive widmet. Was löblich ist, weil Tschörtners Werk den Verhältnissen abgetrotzt werden musste.
Schon die Entscheidung gegen den Spielfilm und für das Dokumentarische fiel beim Studium Ende der siebziger Jahre in Potsdam-Babelsberg aus der Überlegung heraus, dass es als Frau dort leichter sein könnte, Projekte zu realisieren. „Susis Schicht“ (1978/79), findet bereits Bilder für den Kampf um weibliche Selbstbestimmung. Portraitiert wird eine junge Frau, die in einem Werk zur Verarbeitung von Sekundärrohstoffen angestellt ist, den Kollegen bei der körperlichen Arbeit in nichts nachsteht und in der Kantine von Männern dennoch ungebeten mit Gesten der Herabwürdigung bedacht wird.
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Tschörtners Filme handeln von einem Feminismus, der noch nicht auf den Begriff gekommen ist und deshalb in tastenden Erzählungen beschrieben wird. Wie in „Femini – Eine Rockband aus Berlin“ von 1982, wenn die Pianisten dem Rest der Gruppe ihr Erstaunen über den gemeinsamen Stil erklärt: „Eins macht mich eben bisschen traurig, Mädels, eure Hardrock-Richtung, die ihr einschlagen wollt“, die orientiere sich nämlich am DDR-typischen „Gerammele” von den Puhdys bis Prinzip.
(Das Festival Achtung Berlin läuft bis zum 27.4. in den Kinos Babylon Mitte, Lichtblick, Wolf; www.achtungberlin.de)
Komplementär dazu lässt sich „Das freie Orchester“ (1989) verstehen, ein elegantes Making-of des Auftritts einer Industrial-Band. Tschörtner besucht die Mitglieder im Alltag, um über die Sounds, die in der KfZ-Werkstatt oder beim Schweißen eine Rolle spielen, in der finalen Krachperformance vom Freien Orchester zu landen.
Teile des Materials finden sich auch in der ZDF-Dokumentation „Und die Sehnsucht bleibt“. Tschörtner skizziert in kurzen Strichen drei Frauenleben, die, wie schon im 1983 in Oberhausen ausgezeichnetem Abschlussfilm „Hinter den Fenstern“, nach ihrer Rolle zwischen den traditionellen Formen von Bindungen und eigenen Ansprüchen suchen. Dass die Filmemacherin aus Ost-Berlin für den Westsender vor dem Mauerfall attraktiver war als nach dem Abebben der Vereinigungseuphorie, gehört auch zur Geschichte von Petra Tschörtners auf eine Weise unvollendet gebliebenem Werk. Deshalb ist es verdienstvoll, dass das Berliner Festival nun zur Wiederbegegnung oder gar Erstentdeckung einlädt. Nicht zuletzt, weil die Stadt Berlin in vielen Filmen Tschörtners ihren Auftritt hat.