Angriffe auf jüdisches Leben: Es brannte schon vor dem 7. Oktober

Es ist der 7. Oktober und ich schreibe diese Kolumne. Meine Partnerin hat mich gestern noch besorgt gefragt, ob ich heute von Zuhause arbeiten könne. Ich kann von Zuhause arbeiten und bin froh heute nicht meine Wohnung verlassen zu müssen. Nicht nur, weil sich Berlins Straßen heute wieder besonders unberechenbar anfühlen, sondern auch weil ich müde bin. Müde von der Welt, dem Lärm, dem Irrsinn.

Die jüdische Community ist nicht erst seit dem 7. Oktober erschüttert. Mit 90 Prozent Jüd*innen, die aus der einstigen Sowjetunion stammen – einem Großteil aus der Ukraine – ist die jüdische Bevölkerung in diesem Land seit 2022 im Ausnahmezustand. Seit einem Jahr sind viele unmittelbar von zwei Konfliktschauplätzen betroffen. Es gibt kaum jemanden von uns, der nicht schlaflos und erschöpft ist.

Berlins Straßen kochen

Ich weiß nicht, wie meine jüdischen Geschwister überleben, deren Herzen sowohl im Osten Europas, wie auch am Mittelmeer brechen. Und es ist nicht gerade so, dass Deutschland ein Pflaster auf unsere blutenden Herzen wäre. Ganz im Gegenteil: Wir fragen uns, ob wir zu Hause bleiben können, weil auch hier die Situation eskaliert. Berlins Straßen kochen und sind gefüllt mit roten Dreiecken. Auch hier ist es naiv zu glauben, dass das Problem erst mit dem 7. Oktober entstanden sei.

Nach dem Brandanschlag auf das „Bajszel“ in Neukölln gab es eine angemessene Berichterstattung, weil es sich in Geschehnisse nach dem 7. Oktober einreiht. Aber ich denke an den Brandanschlag auf die jüdische Kneipe „Morgen wird besser“ in Lichtenberg 2020, als die Bar nach wiederholten Angriffen völlig ausbrannte und es kaum Berichterstattung gab.

Nichts von all dem, was gerade in Berlin passiert, ist neu. Unsere Einrichtungen, Lokale, Synagogen und Friedhöfe wurden schon lange vor dem 7. Oktober angegriffen, beschmiert und angezündet. In dieser Stadt, in diesem Land. Eine Statistik von 2019 sagt mindestens jede 2. Woche wird ein jüdischer Friedhof geschändet. Synagogen trifft es fast genauso oft.

Das ist unsere Realität – nicht erst seit 2023. Diese Woche ist auch der 9. Oktober (Halle) und Jom Kippur. Dieses Land hat uns schon vor dem 7. Oktober 2023 bluten lassen. Der einzige Unterschied: Vorher war es Alltag und hat deswegen niemanden interessiert, jetzt ist es ein viraler Lifestyle-Trend.