Von Sabine Töpperwien bis Béla Réthy: Stimme und Stimmung im Sport
Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, an Stimme im Sportgeschehen denken, was fällt Ihnen da ein? Herbert Zimmermann, der Reporter des WM-Finales 1954? Waldemar Hartmanns legendäres Interview mit Rudi Völler – oder die Wutrede von Giovanni Trapattoni?
Was haben diese Auftritte gemeinsam? Sie spiegeln sowohl im Stimmklang als auch in der Wortwahl und in der Körpersprache wider, wie den betreffenden Herren gerade zumute war. Bei Zimmermann sah man zwar die Körpersprache nicht, kann sich aber vorstellen, dass er nicht gerade in sich gekehrt und nachdenklich an seinem Platz saß.
Da haben wir schon eine wesentliche Schlüsselrolle identifiziert, die der Stimme im Sport zukommt. Eine stimmlich gelungene Berichterstattung entfacht Emotionen und Begeisterung und ist ein Indikator für die Atmosphäre und Stimmung im Rund. Der Kommentar zu einem Match, Turnier oder Mannschaftsspiel muss natürlich zum Charakter der jeweiligen Sportart passen.
Und die Person, die darüber spricht, sollte Ahnung davon haben. Das merken wir unter anderem daran, wie sie spricht. Denn wenn jemand unsicher ist, kann man das an der Stimme hören, da hilft auch ein Mikro nicht. Und selbstverständlich ist auch der Stil des Kommentars der Zuhörerschaft angepasst, beim Fußball kann es da auch mal etwas rustikaler sein.
In jedem Falle ist Authentizität angesagt! Wunderbare Beispiele hierfür sind Wolff Fuss und Frank „Buschi“ Buschmann von Sky. Ersterer erlaubt sich gern mal ein freundliches, vertrautes Genuschel (unerreicht seine Aussprache des Spielernamens Caligiuri, die ich hier zwar nicht phonetisch wiedergeben kann, die aber im familiären Rahmen immer wieder zu Lachanfällen führte) und bisweilen etwas abenteuerliche Metaphern, beide Angewohnheiten steigern jedoch den Unterhaltungswert seiner Reportagen.
„Buschi“ kommentiert immer sehr familiär-kumpelhaft, nennt die Kollegen bei ihren Spitznamen und stellt auch in überraschenden Situationen gern mal fest, dass er „bekloppt“ wird. Die beflissene und gleichzeitig stimmlich dominierende Sprechart der Reporterlegenden und „Unantastbaren“, Béla Réthy, Fritz von Thurn und Taxis und Marcel Reif, ist mittlerweile aus der Mode gekommen.
Auch für Reporterinnen und Moderatorinnen gilt Authentizität
Als Reporterin wie als Moderatorin, gerade im Männerfußball, sind Frauen auf dem Vormarsch. Sie stellen dem modernen Publikum unter Beweis, dass sie ebenfalls Ahnung haben. Sie sprechen meist in einer eher tieferen Tonlage, was bekanntermaßen auf die Zuhörenden selbstbewusst und kompetent wirkt. Eine hochinteressante Studie aus dem Jahr 2017 unter der Leitung von Prof. Michael Fuchs (Uni Leipzig) weist übrigens nach, dass Frauen heutzutage in Deutschland im Durchschnitt deutlich tiefer sprechen als noch vor 20 Jahren.
Pionierin der Sportjournalistinnen ist sicher Sabine Töpperwien, die bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Dienst auf Radioreportagen, eine besondere Kunstform, spezialisiert war. Nicht selten fällt mir allerdings auf, dass die Frauen am Mikro in den Spielübertragungen teilweise sehr laut und eher emotionslos sprechen, vielleicht wollen sie sich so den Hörgewohnheiten des Publikums anpassen, das meist noch männliche Stimmen in diesem Kontext kennt. Nach dem Motto: bloß nicht auffallen!
Die Älteren von uns erinnern sich mit Grausen an den „Skandal“ um Carmen Thomas, eine toughe Hörfunkjournalistin mit sehr angenehmer, cooler Ausstrahlung, der im Sportstudio des ZDF der Fauxpas unterlaufen ist, von Schalke 05 zu sprechen. Damit war ihr Schicksal als Sportstudio-Moderatorin besiegelt.
Vielleicht ein unbewältigtes Trauma jeder Sportjournalistin? Schade! Denn auch hier ist Authentizität gefragt. Wir wollen keine Frauen, die ins Mikrofon brüllen, nur weil sie meinen, sich so im Kreise der Männer Gehör verschaffen zu können. Es gibt Mittel und Wege, sich stimmschonend durchzusetzen und – das Original ist immer besser als die Kopie.
Zwei Gruppen will ich noch nennen, auf deren Stimmen wir im Sport nicht verzichten wollen: Die Stadionsprecher und wir, das Publikum. Was wäre ein Fußballverein ohne seinen Stadionsprecher oder seine Stadionsprecherin? Die kraftvolle und überzeugende Stimme facht Begeisterung und Spannung im Stadion an. Sie vermittelt uns Vertrautheit, Familiarität und Identifikation.
Wir fühlen uns nicht nur sportlich zu Hause, wenn wir ihn oder sie hören. Wir sind an die Stimme gewöhnt wie an die (Synchron-)Stimmen von Tom Hanks oder Daniel Craig. Es ist jemand, der sich mit uns freut und mit uns leidet, jemand von uns. So hallen in mir die ergreifenden Abschiedsworte des Hertha-Stadionsprechers Fabian von Wachsmann für den verstorbenen Kay Bernstein noch nach und bereiten mir immer wieder Gänsehaut.
Während Corona waren Stadien gespenstisch leer
Wie wichtig die Stimmen und Anfeuerungsrufe des Publikums und der Fans sind, wurde uns in der Coronazeit vor Augen und vor allem Ohren geführt, als die Stadien und Arenen leer waren. Gespenstisch, hieß es oft. Man hatte digital sogar die Möglichkeit, Stadiongeräusche zur TV-Übertragung hinzuzufügen, um sich so eine halbwegs normale Atmosphäre zu schaffen.
Je nach Sportart und kultureller Disposition ist natürlich auch hier die Art der Publikumsreaktion unterschiedlich, bei Tennisübertragungen hört man manchmal nur das Aufstöhnen der Aktiven und das Ploppen des Balls, das Publikum klatscht meist artig, stöhnt aber auch mal auf und geht erst richtig aus sich heraus, wenn es extrem spannend wird.
Beim Handball und Eishockey ist das Publikum sehr nah am Geschehen, das schafft bisweilen eine „Hexenkessel-Atmosphäre“. Ausgiebige Fangesänge und Anfeuerungsrufe fachen beim Fußball die emotionale Intensität an und sorgen so für gesteigerte Motivation und erhöhten Kampfeswillen bei der angefeuerten Mannschaft.
Nicht selten sind die besonders aktiven Fans nach einem Spiel vollkommen heiser, und auch manch Übungsleiter ist bisweilen von Stimmausfall betroffen. Glück dann für die Spieler, denn sie werden möglicherweise dadurch fürs Erste einer kraftvollen Standpauke des Trainers entgehen.