Die Adler fliegen noch
Eigentlich waren die beiden Ausstellungen als Doppelschlag geplant, als zwei Seiten einer Medaille: auf der einen die Anfänge der Documenta, der hoffnungsvolle Aufbruch der Kunst in eine neue Zeit, die Rückkehr der Moderne. Und auf der anderen die Kontinuitäten erfolgreicher Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik.
Doch dann kam die bittere Erkenntnis, dass sich Werner Haftmann, ein Documenta-Gründervater, als SS-Mann dem Regime angedient hatte, eine böse Vergangenheit unter dem Deckmantel einer Vorkämpfers der Abstraktion verbarg. Ein Schock. Die Geschichte der Documenta muss umgeschrieben werden.
Und nun, beim zweiten Teil des Ausstellungsdoppels im Deutschen Historischen Museum, der allerdings versetzt aufschlägt, weil die Lesart von einer lichtvollen und einer dunklen Seite der Nachkriegskunstgeschichte – hier die Documenta, dort Breker, Thorak und Konsorten – ohnehin nicht mehr funktioniert?
Die Werke stehen noch immer im öffentlich Raum. Meist unerkannt
Nicht Schock ist die Reaktion, sondern Scham. Dass es für die großen Maler und Bildhauer des „Dritten Reiches“ ganz passabel weiterging, kann jeder wissen. Ihre Skulpturen, die in den 1950er und 1960er Jahren von Kommunen, dem Staat, privaten Unternehmen in Auftrag gegeben wurden, sind heute noch im öffentlichen Raum zu sehen. Meist läuft man achtlos an den Reliefs, Brunnen, Stehenden vorbei, wundert sich nicht mehr.
Das könnte jetzt anders werden. Die kritische Selbstbefragung des Kunstbetriebs, seiner Sammlungen und Protagonisten geht weiter. Die DHM-Ausstellung „Die Liste der ,Gottbegnadeten’. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ nimmt sich vier Maler und acht Bildhauer vor, die mit über hundert anderen Männern auf jener im Auftrag von Hitler und Goebbels zusammengestellten Liste standen. Sie galten als „uk“, unabkömmlich, brauchten nicht mehr an die Front, mussten keinen Arbeitseinsatz leisten. Sie konnten in ihren Ateliers bleiben, wenn es sie denn im letzten Kriegsjahr noch gab.
Nach 1945 änderten die Künstler nur minimal ihren Stil
Hermann Kaspar, Adolf Wamper, Paul Matthias Padua kennt man heute nicht mehr. Aus gutem Grund. Vor 1945 arbeiteten sie in einem den Nationalsozialisten genehmen Stil, der am Klassizismus des 19. Jahrhunderts orientiert war, und schufen heldenhafte Figuren, monumentale Recken. Nach 1945 änderte sich dies nur minimal. Der Typus des Sämanns verwandelte sich mit wenigen Änderungen in einen Heiligen, das Heldische machte einer gewissen Nachdenklichkeit Platz.
Ähnlich wie in Wirtschaft, Recht, Medizin, Politik, wo kaum ein Revirement der Positionen stattfand, die Entnazifizierung nur halbherzig geschah, hielt sich auch der Geschmack ihrer Repräsentanten: konservativ, ja modernefeindlich. Die Maler, Bildhauer verfügten über exzellente Netzwerke, häufig kamen Aufträge für Kunst am Bau über Architekten zustande, die sie von früher kannten.
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Die vom Kölner Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis klug kuratierte Ausstellung hält sich nur kurz mit der Vergangenheit seiner zwölf Repräsentanten auf. Ihre Auswahl für die Schau kam letztlich nur zustande, weil sie im NS-Staat offiziell Anerkennung fanden und nach der vermeintlichen Stunde Null weiter Karriere machen konnten. Die meisten bekamen an den Akademien in Düsseldorf und München nach kurzer Anstandspause ihre Professuren wieder. Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin erwiesen sich als besonders tolerant gegenüber alten Bekannten.
In Museen, Ausstellungen waren die „Gottbegnadeten“ zwar nicht mehr zu sehen, aber an Wettbewerben für öffentliche Plätze, Parks, Rathäuser, Schulen, Postämter durften sie weiter teilnehmen, ohne dass sich jemand daran störte. Häufig genug setzten gerade sie sich durch.
Der Kölner Bildhauer Willy Meller zum Beispiel, von dem die „Deutsche Nike“ auf dem Berliner Reichssportfeld stammt, hatte sich auf Adler spezialisiert, für die er vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda oder der NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel beauftragt wurde.
Nur sieben Jahre nach Kriegsende war hier Mellers Können wieder gefragt: Statt eines Reichsadlers schuf er nun allerdings einen Bundesadler für das Palais Schaumburg in Bonn, den damaligen Amtssitz des Bundeskanzlers. Unbemerkt kann dies eigentlich nicht geblieben sein.
Nur selten regte sich Protest, erstmals 1965 als der Münchner Maler Hermann Kaspar für die neue Meistersingerhalle in Nürnberg einen 27 Quadratmeter Gobelin entwerfen durfte. „Weisen Sie das Geschenk zurück“ titelte damals die lokale Zeitung und forderte den Bürgermeister auf einzugreifen. Ein anderes Dokument in der gleichen Vitrine zeigt allerdings die Anweisung der zuständigen Behörde, dem Künstler sein Honorar in Höhe von 10 000 D-Mark zukommen zu lassen, das Werk sei einwandfrei gemacht. Nicht einmal von einem Geschenk konnte mehr die Rede sein.
Erst 1968 rührte sich an der Akademie in München Protest
Drei Jahre später ging der Asta auf die Barrikaden und machte an der Münchner Akademie Kaspars Vergangenheit öffentlich. Hakenkreuze wurden als Protest auf seine Ateliertür geschmiert. Der Maler blieb trotzdem bis 1972, drei Jahre über die Altersgrenze hinaus.
„Frau Musica“, Kaspars Gobelin für Nürnberg, hängt nun als Attraktion an der Hauptwand des Ausstellungsraums im DHM nicht weit von Brekers „Pallas Athene“ entfernt, die ansonsten vor einem Wuppertaler Gymnasium steht. In der Ausstellung wirken die originalen Werke monströs, angestaubt, aus der Zeit gefallen, wie das letzte Aufbäumen einer Ästhetik, die schon lange keine Relevanz besitzt und doch viel über die Rezeption von Kunst erzählt.
Wie wollen wir mit diesem materiellen Erbe fortan umgehen, stellte DHM-Direktor Raffael Gross bei der Eröffnung als Frage in den Raum, ohne sie zu beantworten. Das könnte sich im Laufe der Ausstellung ergeben, auch während der Rundgänge, die in Berlin, München, Düsseldorf zu den Werken geplant sind.
Die DHM-Ausstellung will die Diskussion wieder anfachen
Die Diskussion ist eröffnet. Brauneis’ Bestandsaufnahme, zu der auch eine Fotostrecke von 300 dokumentierten Werken „gottbegnadeter“ Künstler im (halb)öffentlichen Raum vor und nach 1945 gehört, ist ein Versuch, den Faden wieder aufzunehmen.
Mit den Malern und Bildhauern lässt sich heute nicht mehr reden, vielleicht zum Glück, sie sind längst gestorben. Es gehört zu den unangenehmsten Erlebnissen in der Ausstellung, Fernsehausschnitten zu folgen, in denen diese Karrieristen nicht einmal nach Ausreden suchen, sondern weiter stur behaupten, als Künstler nun einmal Anerkennung zu brauchen – egal von wem.
Es barmt einen zu sehen, wie die Fernsehjournalistin Marianne Koch höflich bohrend Fragen stellt, der Kunstkritiker Peter Iden immer wieder nachhakt, der aus dem Exil zurück gekehrte Architekturhistoriker Julius Posener Breker vergeblich zur Rede stellt.
[DHM, Pei-Bau, Hinter dem Gießhaus 3, 27. 8. bis 5. 12.; Dr bis Mi 10 – 18 Uhr, Do bis 18 Uhr. Katalog 20 €.]
Der Documenta-Gründer Werner Haftmann hatte noch 1986 die künstlerischen Produkte des Nationalsozialismus zum „Nichts“ erklärt, das über Nacht verpufft sei, und sich damit praktischerweise die Auseinandersetzung gespart. Das geht nicht mehr. In Berlin wird auch über Georg Kolbe noch einmal zu sprechen sein (Führung „Vom Olympiapark zum Georg-Kolbe-Hain“ am 12. 9.), der allerdings als Endsechziger auf die Liste der „Gottbegnadeten“ kam, also ohnehin nicht mehr einberufen worden wäre.
Entschuldigt ihn das? Schwarzweiß gibt es nicht mehr. Das hatte schon der Fall Hildebrand Gurlitt gezeigt.