Gottvater des Postpunk: Zum Tod des großartigen Gitarristen Tom Verlaine

Von Punk war zu der Zeit, als Tom Verlaine sich auf den Weg nach New York City machte, Ende der sechziger Jahre, noch lange keine Rede. Aber die große New Yorker Freiheit, die spürte der unter dem bürgerlichen Namen Thomas Miller in Wilmington, Delaware geborene Kunststudent und angehende Musiker sofort bei der Ankunft: „Niemand kümmerte sich dort einen Scheiß um das, was man macht“.

Weshalb sie hier alle in Ruhe vor sich hin werkeln und sich ausprobieren konnten, die jungen Menschen, die von den Sechzigern und den Hippies und später dem Dinosaurier-, Bombast- und Kunstrock der siebziger Jahre die Schnauze voll hatten: Blondie und die Ramones, Alan Vega und Patti Smith. Und eben Thomas Miller, der sich fortan nach dem französischen Lyriker und Symbolisten Paul Verlaine nennen sollte und mit dem Schlagzeuger Billy Ficca zunächst eine Band mit dem vielsagenden Namen Neon Boys gründete. Nachdem Richard Lloyd als zweiter Gitarrist neben Verlaine dazugestoßen war, wandelte man den Bandnamen 1973 in Television um.

Television gehörte zu den Bands, die das CBGBs auf der Bowery zu einem legendären Club machten, so wie die Ramones oder Suicide: die es zu dem Schuppen werden ließen, aus dem der US-Punk hervorging, einige Jahre bevor in Großbritannien die Sex Pistols und The Clash auf den Plan traten und Punk noch einmal simplifizierten. Hier die „Frankie is so desparate“-Schreie eines Alan Vega, dort der Prä-New-Wave von Blondie, das war schon was anderes. Vor allem jedoch Television: „Marque Moon“, das 1977 veröffentlichte Debütalbum der Band, ist ein virtuoses Meisterwerk. Es klingt zwar völlig anders als die Rockmusik jener Zeit, lässt sich aber nur schwer als Punk identifizieren. „Marque Moon“ definierte den Postpunk schon, bevor Punk in seiner kurzen, schnellen Blüte stand.  

Verlaine hatte in seiner Jugend Klavier- und Saxofonunterricht bekommen, er war vor allem mit Klassik und Jazz aufgewachsen. Und in Folge wurde er ein viel zu guter Musiker, um sich an schnellen Do-it-Yourself-Gitarrenakkorden zu berauschen. Seine und Lloyds Gitarre auf den acht Songs auf „Marque Moon“ haben etwas sehr Prononciertes, Nuanciertes. Manchmal erklingen sie volltönend, manchmal reduziert, nie liegt hier etwas daneben, immer ist das Spiel auf den Punkt.

Verlaine und Lloyd hatten auch nichts gegen die lange Erzählung, von wegen eins, zwei, drei und nach zwei Minuten alles vorbei, nichts gegen das eine oder andere leicht gniedelnde Solo. Der Titelsong dauert zehn Minuten. Wenn man ihn hört, kann er ruhig weitere zehn Minuten dauern – so schön schlägt die Gitarre immer wieder die gleiche Melodie an, so herrlich knarzig pulsiert und vibriert dieser Song, so trocken pumpt das Schlagzeug. Und: Eine Ahnung von Jazz trägt das Ganze ebenfalls in sich.

Im Grunde nahm „Marque Moon“ den Indierock der achtziger und neunziger Jahre vorweg. Legionen von Bands eiferten Television nach. Nur wie das im Pop mit seinen Ungerechtigkeiten oft ist: Der Ruhm und auch ökonomische Erfolg, den die Zeitgenossen und Mitstreiter hatten, die Ramones, Patti Smith oder Blondie, sollte Verlaine nie erlangen.

Nach dem zweiten Album „Adventure“ verließ er Television und werkelte allein weiter, veröffentlichte zahlreiche Soloalben, wie es sich gehört unterbrochen von einer Reunion, die ein drittes originäres Television-Album nach sich zog. Dazu kamen diverse Touren bis in die Gegenwart, mal mit, mal ohne den kreativen Widerpart Lloyd. Von bloßem Abgestaube einer Legende dabei keine Spur: Auch im hohen Alter verstand Verlaine es, seiner Gitarre die schönsten, funkelndsten Töne zu entlocken. Am Samstag ist Tom Verlaine nach kurzer Krankheit in Manhattan gestorben. Er wurde 73 Jahre alt.        

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