Künstliche Intelligenz für Klopp & Co.: Taktische Tipps für das Fußballspiel von Google DeepMind
„Das Runde muss in das Eckige“ – viel einfacher, als es der legendäre Nationaltrainer Josef „Sepp“ Herberger einst beschrieb, lässt sich Fußball nicht erklären. Theoretisch. Nur in der Praxis ist es, wie so oft, weit komplexer. Denn die hohe Kunst der Taktik und der Strategie, wie sich die jeweils zehn Spieler plus Torwart auf dem Platz zu bewegen haben, wie sie mit und gegen den Ball agieren sollen, das ist Sache meist hoch bezahlter Trainer. Bislang.
Doch jetzt greift eine künstliche Intelligenz „Kloppo“, „Pep“ & Co. unter die Arme: „TacticAI“, entwickelt von einem Google-DeepMind-Forschungsteam, sagt den Ausgang von Eckstößen vorher und kann „realistische und taktische Vorschläge für Fußballspiele machen“, heißt es im Fachblatt „Nature Communications“. Experten des FC Liverpool hätten in 90 Prozent der Fälle die von „TacticAI“ vorgeschlagenen Strategien den bestehenden Taktiken vorgezogen.
Mit Datenanalyse zum Kader
Völlig neu ist KI im Fußball nicht. Bei der Auswahl neuer Spieler wird die Technik bereits eingesetzt, etwa indem gesammelte Daten über das Verhalten von Spielern – von der Tor- und Passquote über die Sprintqualität bis zur Zweikampfstärke – analysiert werden. So käme man zu besseren Ergebnissen: Von zehn vorgeschlagenen Spielern würden mindestens acht für die Teams passen, meint einer der Anbieter solcher KI-Systeme, Jan Wendt von der Firma Plaier, im Gespräch mit der „Tagesschau“.
Für die Entwicklung taktischer Konzepte sind allerdings Datenmengen in ganz anderen Dimensionen nötig. So ist nicht nur das Verhalten eines einzelnen, sondern von 22 Spielern jeweils zueinander und in Relation zum Ball zu berücksichtigen. Es liegt nahe, sich für den Anfang Spielsituationen herauszusuchen, in denen der Ball ruht, etwa Eckbälle, Einwürfe oder Freistöße.
Tatsächlich griffen die Forschenden bei Google DeepMind auf umfangreiche Tracking-Daten von 7176 Eckstoß-Situationen aus den vergangenen Saisons der Premier-League zurück, um ihr KI-System zu schulen. Der FC Liverpool hatte die Daten, darunter auch Infos über die Größe und das Gewicht der Spieler, zur Verfügung gestellt.
Computergenerierte Eckball-Prophezeiungen
Eckstöße bieten erfahrungsgemäß nicht nur eine relativ gute Chance, ein Tor zu erzielen, sondern Trainer können ihre Spieler auch bestimmte Stellungen und Bewegungsabläufe antrainieren, mit denen sich die Torwahrscheinlichkeit erhöhen lässt.
Die KI identifiziere, so schreiben Zhe Wang, Petar Veličković, Karl Tuyls und Kollegen, „wichtige strategische Muster“ und könne so Vorhersagen über den Erfolg der einen oder anderen Eckballtaktik machen. „TacticAI“ sei in der Lage, den ersten Empfänger des Balls nach der Ausführung eines Eckstoßes und das direkte Ergebnis des Schusses genau vorherzusagen. In Tests war der Empfänger des Balls in 78 Prozent der Fälle unter den drei besten Kandidaten von TacticAI.
Auch wenn sich die Aufstellung der Spieler ändert, könne das System die möglichen Ergebnisse abschätzen und taktische Variationen vorschlagen, die den Spielausgang verbessern.
7176
Eckbälle, bzw. die Daten aus deren Videoaufnahmen, analysierten Forschende, um eine KI zu trainieren und zu testen.
Offenbar waren die taktischen Tipps der KI durchaus hilfreich. Zum einen testeten die Forschenden die Vorhersagen mithilfe der Datensätze und stellten fest, dass die KI-generierten taktischen Aufstellungen die Szenen und Spiel-Ergebnisse realistisch widerspiegelten, sich von den realen Szenarien also nicht wesentlich unterschieden.
Zum anderen bewertete auch eine Gruppe von fünf Fußballexperten des FC Liverpool, drei Datenwissenschaftler, ein Videoanalyst und ein Trainerassistent, die taktischen Vorschläge. Ohne darüber informiert zu sein, ob eine Taktik KI-generiert oder von Menschen entworfen wurde, wählten sie in 90 Prozent der Fälle die KI-Strategie.
„TacticAI“ könne die Grundlage für die nächste Generation von KI-Assistenten sein, die Trainern helfen, die optimale Spieleraufstellung zu bestimmen und Gegentaktiken zu entwickeln, um die Gewinnchancen zu maximieren, schreiben Wang und Kollegen.
Die Technik lasse sich auch für Einwürfe und ähnliche Spielsituationen einsetzen und sei nicht auf Fußball beschränkt. Bei Handball, Hockey und anderen Mannschaftssportarten gebe es vergleichbare unterbrochene Spielsituationen, in denen die KI den Trainern Tipps geben kann, wie sich die Spieler bestmöglich positionieren, passen und bewegen sollten – um das Runde häufiger ins Eckige zu bekommen.