Er war einer der großen Architekten Deutschlands

Das Künstlerarchitektentum der 60er Jahre erscheint heute fern. Gottfried Böhm, einer der großen, expressiven Architekten Deutschlands, stand wie kein zweiter für die Verbindung von Architektur und Kunst. Böhms bildhauerisches Werke waren nie autistisch, sondern sensibel auf den Ort reagierten. Der als “Kölner Kirchenbaumeister” berühmt gewordene Böhm starb am 9. Juni in Köln im Alter von 101 Jahren.

Der 1920 in Offenbach geborene Architekt trat nach dem Studium der Architektur und der bildenden Kunst in München in das Büro seines Vaters Dominikus ein, das er nach dessen Tod 1955 übernahm. Dominikus Böhm hatte in den 20er Jahren mit seinen starken, sinnlichen Kölner Kirchen den Sakralbau in Deutschland ästhetisch erneuert, in dem er Gemeinde und Altar zusammengeführt hat. Wie sein Vater hat auch Gottfried Böhm zunächst vor allem ausdrucksvolle Kirchen gebaut.

Allein in den 50er und 60er Jahren entstanden über dreißig Kirchen und kirchliche Einrichtungen nach Böhms Plänen; vorwiegend im Rheinland, im Ruhrgebiet und in Westfalen. Von Kassel, Frankfurt und Trier über Düsseldorf und Münster reichte das Territorium, in dem Böhm den Kirchenbau beherrschte. Aber auch in anderen katholischen Hochburgen wie Italien und Brasilien hat Böhm Kirchen einzigartige entworfen. Die Wallfahrtskirche Maria Königin des Friedens in Velbert-Neviges von 1972 stellte den Höhepunkt in Böhms Schaffen dar. Die Kirche ist zu einem zerklüfteten Sichtbetongebirge aufgetürmt. Treppen und Randbebauungen begleiten den Pilgerweg auf den Berg.

Auch beim Rathaus in Bensberg hat Böhm mit einer scharfkantigen Plastik einen historischen Bau modern ergänzt. In die Reste einer mittelalterlichen Burg eingefügt wirkt das skulpturale Rathaus mit seinen gefalteten Betonflächen wie ein Eisberg. Der Treppenturm überragt die Türme der Burg und vollendet so deren Silhouette.

Die alpin wirkende Stadtkrone wurde als “Signet demokratischer Macht und Zeichen der Überwindung des Symbols für Feudalherrschaft” interpretiert. Schiefwinklige, vieleckige Räume und geknickte Flure zeichnen diese mutige, kräftige, topographische Architektur aus. Die Klinkerböden und Holzdecken wirken in ihrer kargen Ästhetik klösterlich.

Körperhafte, schwere Architektur, lustvoll zum Gesamtkunstwerk gestaltet

Auch beim Diözesanmuseum am Markt von Paderborn ergänzte Böhm ein historisches Ensemble. Das nah am Dom gelegene Haus schafft nach außen verschiedene kleine Stadträume, während im Inneren Oberlichtschrägen die “offene Museumslandschaft” belichten.

Gegen den Neubau erhoben sich jedoch Proteste, denn der Bau am seit dem Krieg freistehenden Dom war wegen seiner bleiverkleideten, brutalistischen Fassade städtebaulich umstritten. Der Baustoff Beton war in Verruf geraten, aber Böhm hatte den Ruf, “ein Meister der plastischen Gestaltung von Beton” zu sein.

Der Neubau des Hans Otto Theaters in Potsdam, entworfen von Gottfried Böhm.Foto: Bernd Settnik/dpa

Die körperhafte, schwere Architektur, lustvoll zum Gesamtkunstwerk gestaltet, und bisweilen durchaus ornamental greift noch auf das Formen-Repertoire des Vaters zurück. Böhm entwarf fortan leichtere und transparentere Fassaden und nutze vorgefertigte Bauteile und rechte Winkel. Die Auseinandersetzung mit der Baugeschichte blieb dennoch das wichtigste Thema in Böhms Werk: Für die Fachhochschule in Bremerhaven beispielsweise wandelte er ein ehemaliges Auswandererhaus in eine Mensa und Bibliothek, deren Material und Dachform dem Altbau gleichen.

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Die Ziegelbauten sind mit einer Glaspassage mit dem Altbau verbunden. Beim Umbau des barocken Saarbrücker Schlosses für den saarländischen Landtag ersetzte Böhm den historistischen Mittelrisalit durch ein filigranes Stahl-Glas-Skelett in Mansarddachform für den Plenarsaal, den er selbst figürlich ausmalte. Beim Staatstheater in Stuttgart erweiterte er das Foyer um einen runden Pavillon. Die bleiverglaste Kuppel des Foyers wurde mit Spiegelgläsern und Wandmalereien verziert. Trotz der Zwiesprache mit der Baugeschichte gelang es Böhm, ein autonomes Formenrepertoire und charaktervolle Räume zu entwickeln, das nie bieder wirkt.

Die Ulmer Bibliothek, gebaut von Gottfried Böhm.Foto: Stefan Puchner/dpa

Erst mit großen Bürogebäuden wie dem Neubau einer Deutschen Bank-Filiale in Luxemburg erreichte sein Werk einen neuen Maßstab. Böhms unmodische, ortsverwachsene, manchmal pathetische Architektur wirkte bei seinen Bürobauten jedoch seltsam bemüht. Vorgabe für die Hauptverwaltung der einer Baufirma an der Peripherie Stuttgarts war es, die Vielseitigkeit von Beton zu demonstrieren und firmeneigene Betonfertigteile zu verwenden.

Allen Werken gemein ist Böhms künstlerischer Formwille

Böhm wertete den Verwaltungsbau mit einem großen Innenhof auf. Die unbeheizte Glashalle dient als Wärmepuffer. Die tragendeneden Betonfassaden der beiden parallelen Büroflügel sind mit Eisenoxyd rötlich eingefärbt. Quer durch das hohe Atrium sind die Büros durch Stege verbunden. Mitten in dem schwäbischen Neubaugebiet in den Krautfeldern spielt dieser Raum Piazza.

So unterschiedlich die Werke im Einzelnen sind, allen gemein ist Böhms künstlerischer Formwille. In Berlin und Umgebung war Böhm mit dem P&C-Kaufhaus am Tauentzien und dem Entwurf für das Hans-Otto-Theater in Potsdam präsent. Das eigenwillige Berliner Kaufhaus von Peek & Cloppenburg folgt der traditionellen Typologie der Kaufhäuser der Gründerzeit, in dem alle Erschließungen um einen großen Lichthof herum angeordnet sind. Die fallenden, rahmenlosen Glasschürzen der Fassade scheinen zwischen den Betonpfeilern wie im heißen Zustand geformt und bilden im Erdgeschoss kleine Vordächer.

Von der Einheit von Bau und Kunst statt “Kunst am Bau” ist in Böhms Spätwerk wenig geblieben. Aber für Böhms zeitlose Art, von innen heraus zu entwerfen, wurde ihm 1986 als erstem und bisher einzigem deutschen Architekten der prestigeträchtige Pritzker-Preis verliehen. Gottfrieds Sohn Peter führt die Familientradition fort.