„Kindheitsarchive“ an der Schaubühne: Drama im Büro für Auslandsadoptionen

Rebecca Levi hat 15 harte Jahre hinter sich. Sie berichtet von In-Vitro-Fertilisationen, einer Eierstockentfernung und Familienfeiern, für die sie „alle möglichen Ausreden“ erfunden habe, weil sie es „nicht ertragen konnte“, andere Menschen mit Kindern zu sehen.

Während Frau Levi, die die Schauspielerin Ruth Rosenfeld mit einem hohen Sympathiefaktor ausstattet, diese geballte Depression aus sich herausschleudert, sitzt sie in einem Berliner Büro für Auslandsadoptionen und muss eine neuerliche Enttäuschung verkraften. Im Fall des siebenjährigen Son aus Vietnam, dessen Adoption ihr die zuständigen Beamtinnen bereits zugesichert hatten, gibt es überraschend Unstimmigkeiten.

„Wir müssen für eine bestimmte Zeit Ihre Akte einfrieren“, eröffnet ihr die Mitarbeiterin Mira (İlknur Bahadır) mit sanftestmöglicher Stimme. Und bietet nicht minder zartfühlend die Vermittlung einer „Gesprächsgruppe“ an, auf die Frau Levi, die fast schon fließend Vietnamesisch kann, ihrerseits erbittert verzichtet.

Diese Szene ist typisch für Caroline Guiela Nguyens Produktion „Kindheitsarchive“ an der Berliner Schaubühne. Der Abend, der auf Recherchen zu Auslandsadoptionen basiert, versucht, die egoistischen Motive und blinden Flecken hinter dem Narrativ vom lupenreinen Adoptionsaltruismus offenzulegen – wenngleich durchaus nicht empathiefrei.

Die französisch-vietnamesische Autorin und Regisseurin, die mit der Inszenierung „Saigon“ 2018 beim FIND-Festival an der Schaubühne gastierte und nun gemeinsam mit ihrer Kompanie Les Hommes Approximatifs erstmals mit Spielerinnen vom Lehniner Platz arbeitet, schaut vor allem aus der Perspektive der Adoptierten auf das Thema.

So .wird das Publikum wiederholt Zeuge wenig reflektierter bis selbstbewusst übergriffiger Anrufe im Adoptionsbüro, die maximal unmissverständlich klar machen, wie gering einige potenzielle westeuropäische Eltern die Länder, aus denen sie gerade Kinder zu adoptieren gedenken, de facto schätzen.

Die Bürofrauen Victoria (Veronika Bachfischer) und Denise (Alina Vimbai Strähler) streiten über die Frage, ob man „ein Kind lieber in einem haitianischen Heim“ lassen soll „als es einer Familie anzuvertrauen, die bestimmt eine eurozentristische Weltsicht hat, die aber ganz aufrichtig bereit ist, ein Kind aufzunehmen“.

Und in einem zweiten zentralen Handlungsstrang neben der Rebecca-Levi-Geschichte taucht Nina Meyer regelmäßig im Adoptionsbüro auf, das die Bühnenbildnerin Alice Duchange ganz realistisch mit ovalem Besprechungstisch und obligatorischer Leinwand für internationale Videocalls ausgestattet hat.

Nina (Irina Usova) heißt eigentlich Elena, wurde vor 17 Jahren aus Russland adoptiert und begibt sich nun mit der Hibbeligkeit eines Teeangers vorm ersten Partybesuch auf die Suche nach ihrer leiblichen Familie. Bei ihrer Adoptivmutter Isabel (Stephanie Eidt) löst das erwartungsgemäß große Ängste aus, die sie zunächst hinter einem coolen Businessfrauenpokerface versteckt, wie man es schon oft sah auf Theaterbühnen. Dann entschließt sich die betontermaßen in Charlottenburg wohnhafte Frau Meyer, die das Büro jedes Mal mit einem anderen hochpreisigen Outfit betritt, aber doch komplett vorbehaltlos, ihre Adoptivtochter zu unterstützen.

Auch das ist typisch für den Abend: Er behandelt hochgradig spannungsreiche Themen, ohne wirklich zu überraschen, tippt schwierigste Konflikte an, ohne selbst wehtun zu wollen. Genau dort, wo seine Geschichten wirklich interessant zu werden versprechen, weil sie eine wahrhaft tragische Dimension offenbaren oder ein ernsthaftes ethisches Dilemma, nimmt er oft die Kurve ins Stereotyp oder in die Versöhnlichkeit – was vom fernsehrealistischen Darstellungskonzept der Inszenierung zusätzlich unterstützt wird.

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