Malen im hier und jetzt
Den Auftakt bildet ein Gemälde in hellen Farbtönen von Janice Biala. Geboren 1903 im damals zu Russland gehörenden Polen, wanderte sie 1913 mit ihrer Familie in die USA aus. 1952 malte sie das Bild, das jetzt im Museum Barberini in Potsdam so prominent gezeigt wird.
Ihr Name zählt nicht zu denen, die im Zusammenhang mit amerikanischer Kunst der Nachkriegszeit genannt werden. So wenig wie der von Hedda Sterne, deren in der Nähe gehängtes, dunkelfarbiges Gemälde „N.Y. #7“ 1955 entstand. Dem Gedächtnis Halt bieten erst die kleinformatigen Werke der beiden früh verstorbenen Jackson Pollock zur Linken („Die Teetasse“, 1946) und Arshile Gorky zur Rechten („Pastorale“, 1945).
Wiederentdeckte Künstlerinnen
Der Auftakt ist Programm. Kurator Daniel Zamani will mit der Ausstellung unter dem Titel „Die Form der Freiheit“ die „Internationale Abstraktion nach 1945“ vorstellen, aus Europa wie aus Nordamerika, und will ausgetretene Pfade zugleich begehen und verlassen. Begehen, indem er Werke von allen Künstlern vorstellt, die als Abstrakte berühmt sind, wie Mark Rothko, Willem de Kooning oder Barnett Newman, aber zugleich verlassen, indem er der Liste von 52 beteiligten Künstlern die Übersehenen einfügt. Es sind zuallermeist Künstlerinnen, unter denen nur wenige, wie Lee Krasner oder Helen Frankenthaler, zu gleicher Sichtbarkeit im Kunstbetrieb gelangt sind.
Und ein zweites macht der Auftakt mit Janice Biala deutlich: die enge Verbindung, die zwischen dem alten Europa und dem jungen Kontinent jenseits des Atlantiks in der Entwicklung der Abstraktion besteht. Europa, in diesem Falle Frankreich, reagierte auf die Schreckensepoche der Diktatoren und, nicht zu vergessen, ihrer Kollaborateure mit dem Existenzialismus als einer Philosophie der radikalen, wiewohl tragischen Freiheit. Die USA setzten im transatlantischen Austausch auf Künstler, die sich ihre Freiheit bereits erkämpft hatten, vielfach, zumal bei Einwanderern jüdischer Herkunft, durch Befreiung aus Unterdrückung und Verfolgung. Für sie, für die Emi- und folglich Immigranten, war das Versprechen der Freiheit wahr geworden. Auch für die, die nicht vor Verfolgung fliehen mussten, wie Willem de Kooning, der 1926 illegal ins Land kam, jahrzehntelang ohne Pass blieb und gleichwohl zu Weltruhm aufstieg.
1948 fand die erste Venedig-Biennale nach dem Krieg statt, mit nur 15 beteiligten Nationen – dafür aber der Sammlerin Peggy Guggenheim, die einem der leer gebliebenen Pavillons bespielte und Arbeiten des von ihr unbeirrt geförderten Pollock zeigte, dazu solche der in Europa ebenfalls noch unbekannten Rothko, Clyfford Still und Robert Motherwell.
Wurzeln im Surrealismus
Die europäische Szene merkte auf: Da war etwas Neues, Radikales; und obgleich Peggy Guggenheim, die später ihre in New York aufgebaute Sammlung nach Venedig überführte, nie einen Hehl aus den Wurzeln der US-Abstraktion im europäischen Surrealismus gemacht hatte, wurden die Amerikaner als gänzlich eigenständig wahrgenommen.
Pollock wurde zur Zentralfigur. Tragisch umflort von seinen psychischen Problemen und ständigen Exzessen, führte er Reiz und Risiko der Freiheit geradezu prototypisch vor. Seine „Drip Paintings“ hatten die Eierschalen des Surrealismus abgeworfen und waren zu purem „Action Painting“ geworden, in denen der Vollzug des Malaktes und dessen Ergebnis auf der Leinwand eins wurden. Pollock lebte „in“ seinen Bildern. Und die wurden, unter kräftiger Mitwirkung des Museum of Modern Art und des US Information Service, in aller Welt ausgestellt.
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Die Ausstellung des Barberini betreibt gottlob keine Heldenverehrung. Stattdessen kommt Pollocks Partnerin Lee Krasner gleichberechtigt zu Wort, und sie ist, wie man im direkten Bildvergleich gewahr wird, von gleicher Statur. Neben dem „Action Painting“ räumt die Ausstellung der Farbfeldmalerei gebührenden Raum ein, so dass die kontemplativen Bilder eines Rothko oder Newman sich entfalten; besonders schön Newmans Bildpaar „Adam – Eva“ von 1950-52, bei dem die konträre Aufteilung in Braun und Rot eine ungeheure Spannung erzeugt.
Ähnlich die feinen Farbnuancen bei Helen Frankenthalers „Blauen Blasebälgen“ von 1976. Die Jahreszahl deutet an, dass Kurator Zamani nicht bei der Nachkriegszeit stehen bleibt, sondern den Bogen bis an den Ausgang des 20. Jahrhunderts schlägt. Dazwischen liegen die späten 1950er und frühen 60er Jahre, als die US-Abstraktion tatsächlich führend war, bekräftigt durch Auftritte bei der „documenta“ 2 von 1959 und 3 von 1964. Morris Louis kam hinzu und vor allem der gefeierte Sam Francis, von dem Barberini-Stifter Hasso Plattner das leuchtende, wandfüllende Spätwerk „Mein Muschel-Engel“ von 1986 besitzt, das mit ein Anlass für diese Ausstellung war.
Frankreich antwortet mit “Art informel”
Und Europa? Will Grohmann, der schon in der Weimarer Zeit bedeutende Kunstkritiker, rang sich 1958 das Urteil ab, man könne „angesichts der Vielzahl von hohen Begabungen von einer amerikanischen Schule sprechen“ – und „die Festung der französischen Schule erschüttert“ sah. Zuerst Frankreich, dann ganz Europa antwortete mit der „Art informel“, wie das griffige Stichwort lautete. Frappierend bleibt der Unterschied in den Formaten: Die Europäer malten anfangs kleine, intime Bilder, wie der unglückliche Wols, der als deutscher Emigrant in Paris zu spätem Ruhm kam. Drei Bilder von ihm, der vor den Nazis Zuflucht nahm, und drei des seelenverwandten Jean Fautrier, der in der Résistance gekämpft hatte, bilden auf einer einzigen Wandfläche der Ausstellung ein solches Schwergewicht, dass dagegen manches amerikanische Großformat verblasst.
[Potsdam, Museum Barberini, bis 25. September. Katalog bei Prestel, 34 €, im Buchhandel 42 €. www.museum-barberini.de]
Zum Abschluss lässt Kurator Zamani den deutschen Informellen eine verdiente Würdigung zukommen. Karl Otto Götz, Ernst Wilhelm Nay, Fritz Winter, Fred Thieler, Bernard Schultze, sie alle waren vom Krieg gezeichnet und verstanden die „informelle“, abstrakte und gestische Malerei als Befreiung von ihren traumatischen Erlebnissen. Winfred Gaul, als Angehöriger der Flakhelfer-Generation einer der Jüngsten, brachte das moralische Problem auf den Punkt, indem er fragte, „Malen ! (…) Ist das nicht Wahnsinn, nach allem, was geschehen ist?“
Der „Wahnsinn“ war beidseits des Atlantik überaus produktiv und blieb es über Jahrzehnte hinweg. Die „Abstraktion als Weltsprache“, die die „documenta“-Macher 1959 ausriefen, war nicht die einzige Sprache ihrer Zeit, aber doch eine ungeheuer kraftvolle und vielstimmige. Es war und ist eine Sprache, die wie keine Kunstrichtung zuvor nationale Engstirnigkeiten hinter sich ließ. Und in der Künstlerinnen und Künstler gleichermaßen sprachen. Diesen lange geleugneten Sachverhalt eindrucksvoll zu belegen, ist wohl das größte Verdienst der Ausstellung im Museum Barberini.