Wenn Worte plötzlich schwerer wiegen
Strategisches Scheitern“ ist ein Begriff dieser Wochen. Die Nato-Staaten haben sich darauf verständigt, dass Wladimir Putin nicht siegen, aber auch nicht gedemütigt werden dürfe. Darum ist nun Russlands „strategisches Scheitern“ das Ziel des Westens.
Was macht dieser Krieg mit unserem Denken, was macht er mit der politischen Sprache? Fragen wir einen, der es wissen könnte, da Kevin Kühnert ein Naturtalent der politischen Kommunikation ist, oft wagemutig wortgewandt, doch seit Monaten gebremst; er redet sanfter und twittert auch weniger als vor dem Krieg.
Die Koalition verteidigen
Oder hat beides mit dem Amt zu tun? Er ist nun Generalsekretär und nicht mehr Vorsitzender der Jungsozialisten, und ein Generalsekretär muss jenen Olaf Scholz erklären, über den ein Juso-Vorsitzender Witze macht. „Wir haben eine Verbesserung erreicht“, so sagt es Kühnert und meint die Ampel nach der Großen Koalition, „und jetzt will ich auch dafür kämpfen, dass sie erfolgreich ist. Mein Publikum ist nun ein breiteres, nicht mehr nur ein Teilpublikum, sondern das ganze. Das ganze Fordernde, Treibende meines Politikstils verlagert sich im Moment eher in den nicht-öffentlichen Raum.“
Und was macht nun der Krieg mit der politischen Kommunikation?
Kühnert sagt: „Worte haben ein ganz anderes Gewicht und werden anders ausgeleuchtet. Sie materialisieren sich in politischen Konsequenzen; und dies in einem Rahmen, wo es um Leben und Tod geht, kleiner haben wir es gerade nicht im Angebot. Darum kommuniziere ich anders, was den Stil und die Instrumente angeht. Ich habe seit Monaten große Unlust, aktuelle politische Fragen über Twitter zu kommentieren. Ich schätze dieses direkte Medium eigentlich, aber im Moment braucht es mehr Raum zum Abwägen und Sortieren.“
Google Street View lenkt Bomben
Es geschieht zweierlei zugleich. Dieser Krieg wird auch via TikTok und Twitter geführt, grell und laut, und Sound, Licht und Zuspitzung werden bedeutend, während in der östlichen Ukraine gestorben wird. Aber weil es längst Fehler gab, weil nämlich Orte, aus denen, vermeintlich nicht identifizierbar, ukrainische Politiker Bilder und Texte gepostet hatten, im Zeitalter von Google Street View wenig später doch bombardiert werden, führt der Krieg auch zu Vorsicht.
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Kevin Kühnert sitzt in seinem Bundestagsbüro, hat die Haushaltsdebatte auf stumm geschaltet. Er beobachtet andere und sich selbst in einer auch rhetorischen Zeitenwende. „Wir sind in ganz neuen, anderen Sprach- und Bilderwelten unterwegs, ich jongliere plötzlich mit Begrifflichkeiten, in denen ich nicht zuhause bin“, sagt Kühnert, „und was jetzt passiert, ist nicht schon fünfmal politisch durchexerziert worden“.
[Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzigs. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.]
Eigentlich liebt Kühnert die Rede „frei Schnauze“ nach dem Vorbild Gregor Gysis oder auch Regine Hildebrandts, und er trägt darum nur einen Stichwortzettel zum Rednerpult, ein Gerüst, aber keine ausformulierten Sätze. Selten, sagt er, müsse er über etwas reden, worüber er noch nie nachgedacht habe, weshalb er das eigene Hirn als Ansammlung von Schubladen versteht, die Kühnert je nach Ort, Anlass und Länge der Rede aufziehe und deren Inhalte er stets neu zusammenfüge. Etwas, das „catchy“ sei, Lokalbezug habe und Emotionen auslöse, müsse stets dabei sein.
Die Angst, am Rednerpult plötzlich nicht weiterzuwissen, verging mit den Jahren. „Zu viele Fehler zu machen wäre eine Schwäche, aber einen Fehler zuzugeben und zu erklären ist keine.“ Eine Politik, die nicht mehr bereit und fähig wäre, spontan zu reagieren, „wäre mir etwas unheimlich“, sagt er schließlich: „Die Mischung zu finden zwischen Lockerheit und der Vermeidung schwerer sachlicher Fehler, danach streben im Moment viele von uns.“