Im lesbischen Ljubljana: Suzana Tratnik und ihr Roman „Die Pontonbrücke“
Jana ist eine Szenegröße. Wenn sie in die lesbischen und schwulen Clubs von Ljubljana geht, begrüßen die Türsteher*innen sie begeistert. Manchmal geben sie ihr sogar einen Stempel, mit dem sie an der Bar Freigetränke bekommt. Schon viele Nächte hat sie in Läden wie dem Lovci, dem Monokel oder dem Tiffany verbracht, die sich alle auf dem Gelände der ehemaligen Metelkova-Kaserne im Nordosten der slowenischen Hauptstadt befinden.
Tagsüber ist Janas Leben weniger glamourös: In der ersten Szene von Suzana Tratniks Roman „Die Pontonbrücke“ steckt die 33-jährige Hauptfigur mitten in einer Panikattacke. Auf dem Weg zur Post hat sie Jana erwischt, nur langsam beruhigt sie sich wieder und kann ihren Weg fortsetzen. In der Post verweigert ihr die Angestellte allerdings den Nachsendeantrag, denn die Adresse in Janas Ausweis weicht von der Nachsendeadresse ab.
Geliebte mit Drogenproblem
Umzüge gehören zu Janas unstetem Alltag. Mit ihrem Studium ist sie so viele Semester und Prüfungen im Rückstand, dass unklar ist, ob sie überhaupt noch einen Abschluss machen kann. Ihr Geld verdient sie mit Übersetzungen und kleinen Texten für eine Frauenzeitschrift, wobei sie davon träumt, eigene Kolumnen zu schreiben.
Suzana Tratnik erzählt die in den Neunzigern spielende Handlung in kleinen Ellipsen und Rückblenden, durch die man von Janas größter Lebensbaustelle erfährt: ihrer Beziehung zu Simi, einem Model mit einem immensen Drogenproblem. Jana kifft und trinkt selbst viel, doch Simi nimmt zudem noch Heroin. Ein entscheidender Unterschied, der die beiden in einen toxischen Strudel zieht. Jana bezeichnet ihn einmal als ein Daseinsloch. „Angst, Nervosität und Rachsucht, diese bekannte Mischung. Sie fürchtete, dass Simi schon zu Haue war, aber noch mehr fürchtete sie den hohlen Schrecken der leeren Wohnung.“
Die 1963 geborene Suzana Tratnik hat ihrer Protagonistin das eigene Geburtsjahr gegeben, und genau wie bei Jana gab es um sie herum in den Neunzigern viele Drogenabhängige. „Mir wurde klar, dass die meisten Süchtigen ein schweres Kindheitstrauma haben und die Drogen eine Art Schmerzmittel sind“, schreibt sie in einer Mail. „Ich beschloss, dass ich so etwas nicht brauche und, dass das Wichtigste für mich die Kreativität ist.“
Tratnik kam Anfang der Achtziger zum Studieren nach Ljubljana und engagierte sich in der Lesben- und Schwulenbewegung. 1997 debütierte sie mit der Kurzgeschichtensammlung „Unterm Strich“, seither hat sie sechs weitere Kurzgeschichtenbände sowie sechs Romane veröffentlicht und gehört zu den bekanntesten queeren Stimmen Ex-Jugoslawiens.
Humor und schnelle Dialoge
Der schwule Club Tiffany und das lesbische Monokel waren auch für Tratnik einst wichtige Orte. Im Monokel – das Buchcover und einige Fotos im Innenteil zeigen, wie es dort aussah – war Tratnik Anfang bis Mitte der Nullerjahre für das Kulturprogramm zuständig, 2007 begann sie mit dem Schreiben von „Pontonbrücke“. Allerdings kam sie irgendwann nicht mehr weiter, ließ den Text liegen und schrieb andere Bücher. Sie habe aber nie aufgehört, über den Roman nachzudenken und nahm die Arbeit daran schließlich 2019 wieder auf. „Das Schreiben hat mir viel Spaß gemacht. Das bedeutet, dass ich bereits gut in den Text eingetaucht war und ich genügend Abstand hatte“, sagt sie.
In „Die Pontonbrücke“ zoomt Tratnik extrem nah an ihre Charaktere und deren Szene heran. Bis auf eine Psychologin, zu der Jana immer wieder geht, gibt es quasi keine Außenwelt, alle Figuren gehören zur Lesben- oder Drogenszene. Nicht einmal Schwule spielen eine Rolle, auch Aids wird nicht erwähnt, obwohl das Buch zu Hochzeiten der Epidemie spielt. Selbst die Familien von Jana und Simi werden nur mit wenigen Strichen skizziert. Diese Perspektive führt dazu, dass man beim Lesen auf Janas Schulter zu sitzen meint oder sogar in ihrem Kopf, aus dem sie sich an manchen Tagen die Augen herausstechen möchte.
Janas Verhältnis zu Simi trägt Züge einer Co-Abhängigkeit, ihre psychische Situation wird also von der Sucht der Partnerin beeinträchtigt. Eine Erfahrung, die Suzana Tratnik damals ebenfalls gemacht hat und später zusammen mit einer Psychologin einzuordnen begann. Auch die Freud-Lektüre, vor allem „Tod und Melancholie“, sei dabei hilfreich gewesen. „So gelang es mir, diese Zeit der negativen Gefühle, Ängste und Unsicherheit zu überwinden“, sagt sie heute.
Der Begriff „Pontonbrücke“ stammt aus einer ihrer Therapiesitzung und auch im Buch fällt er während des Gesprächs mit der Therapeutin. Wie Jana es schafft, sich eine brückenartig Hilfskonstruktion über ihre Ängste und Abgründe zu bauen, ist packend zu lesen. Und dank Tratniks Talent für schnelle, oft auch witzige Dialoge, zudem sehr kurzweilig.
Das Monokel gibt es übrigens bis heute. Es habe sich allerdings stark verändert, sagt Suzana Tratnik. Sie geht aber ohnehin nicht mehr so oft aus.